Das Portrait
: Dissident auf „Erholungsurlaub“

■ Ren Wanding

Auf sieben Jahre Haft folgten ganze fünf Stunden in der heimatlichen Wohnung: Um 2 Uhr nachts betrat gestern der chinesische Dissident Ren Wanding seine Wohnung in Peking, um 7 Uhr morgens verließ er sie schon wieder. Von offizieller chinesischer Seite hieß es, Wanding sei zur „Erholung“ verreist. Chinesische Oppositionelle vermuteten, der 52jährige habe seine Reise nicht freiwillig angetreten, auf die Haft folge Hausarrest an geheimem Ort. Wandings Frau bestritt jedoch gestern diese Vermutung. Ihr Mann habe die Wohnung aus freien Stücken verlassen und sei mit dem Zug in die nordchinesische Stadt Dalian gefahren – um sich dort zwei Wochen zu erholen. Allerdings sei die Reise bereits vor seiner Entlassung von den Behörden arrangiert worden...

Der gelernte Buchhalter Wanding ist einer der dienstältesten Aktivisten der chinesischen Demokratiebewegung. Bereits in den Jahren 1978/79 – der Zeit des „Pekinger Frühlings“ – nahm er an Diskussionsrunden über Demokratisierung und Menschenrechte teil. Er gründete die chinesische Liga für Menschenrechte und beteiligte sich an der Wandzeitungskampagne für Demokratie.

Doch der Frühling währte nur kurz. Im März 1979 verbot die Staatsführung Wandzeitungen, die „gegen den Sozialismus gerichtet sind“. Wanding wurde beim Plakatieren verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Als einer der wenigen frühen Kämpfer für Demokratie und Menschenrechte beteiligte er sich Ende der 80er Jahre an der chinesischen Studentenbewegung. 1988 veröffentlichte die New York Times einen Artikel von Wanding, in dem dieser Studenten aufrief, sich für gefangene chinesische Menschenrechtler einzusetzen. Ausländische Geschäftsleute forderte er auf, nur in China zu investieren, wenn die Repression gegen Kritiker aufhöre. Am 9. Juni 1989, fünf Tage nach dem Massaker am Pekinger Tiananmen-Platz, wurde Wanding in seiner Wohnung verhaftet und am 6. Januar 1991 wegen „konterrevolutionärer Hetze“ verurteilt.

Nach seiner Entlassung habe ihr Mann „äußerlich gut“ gewirkt, berichtete gestern Wandings Frau, jedoch leide er an Augen-, Herz- und Rückenbeschwerden. Gefangenenhilfsorganisationen hatten bereits vor zwei Jahren berichtet, Wanding sei wegen mangelnder medizinischer Versorgung im Gefängnis fast erblindet. Grund zur Erholung hat er allemal. Thomas Dreger