Drogenhilfe auf dem Prüfstand

■ Anhörung zu "Sofortmaßnahmen im Drogenhilfesystem": Kürzungen als Chance für neue Strukturen oder Überlebenskampf. Drogenhilfeplan zum Jahresende

Von „Geheimer Kommandosache“ ist die Rede. Was der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Michael Haberkorn, so mysteriös umschreibt, ist der Drogen- und Suchtbericht des Landes Berlin. Drei Jahre schon ist das Papier von der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport überfällig. Zum Jahresende soll es nun endlich vorgelegt werden.

Ein neuer Drogenhilfeplan, der die verschiedenen Hilfeangebote auflistet und Versorgungsziele festlegt, ist nach Ansicht der Grünen unbedingt erforderlich. Die Beziehungen zwischen den Trägern und Senatsverwaltungen seien „verkrustet“, so Haberkorn. Statt weiter „herumzuwurschteln“, müßten „Unzulänglichkeiten im jetzigen System der Sucht- und Drogenhilfe“ und „fachlich nicht nachvollziehbare Kürzungen“ diskutiert werden. Deshalb hat die Fraktion einen Antrag über „Strukturelle Sofortmaßnahmen im Berliner Drogenhilfesystem“ ins Parlament eingebracht. Darin wird unter anderem die Gründung eines Planungsbeirates mit Vertretern freier Träger, der zuständigen Senatsverwaltungen und Mitgliedern aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien gefordert. Dieses Gremium soll einen Rahmenplan für die Sucht- und Drogenhilfe erstellen. Weitere Forderungen sind die Stabilisierung frauenspezifischer Angebote und die Beibehaltung der erst im letzten Jahr eingerichteten Stellen im Strafvollzug.

Gestern hatte die Fraktion zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen. Etwa 80 MitarbeiterInnen von freien Trägern und Wohlfahrtsverbänden waren ins Rote Rathaus gekommen, um über Konzepte für eine strukturelle Absicherung des Hilfesystems zu diskutieren.

Die Träger dürften nicht warten, daß „alles von oben kommt“, mahnte der Landesdrogenbeauftragte von Bremen, Ilja Michels. Das Verwaltungsdenken müsse sich „revolutionieren“. In der Krise liege eine Chance, um sich aktiv einzuschalten, versuchte er den von den Sparzwängen gebeutelten Trägern Mut zu machen, ohne allerdings konkret zu werden. Im Drogenhilfebereich müssen in diesem Jahr 4,3 Millionen Mark eingespart werden. Das bedeutet für viele Projekte das Aus.

„Unsere Kräfte sind mit dem Überlebenskampf beschäftigt“, reagierte eine Mitarbeiterin des „Vereins für suchtmittelabhängige Frauen“ auf Forderungen nach „Qualitätsmanagement“ und „Kundenorientierung“. Trotz der Kürzungen müsse man „von der Haushaltsgeschichte abstrahieren“, hielt Michels an seiner Forderung fest. Als er das Drogenhilfesystem als teilweise „überprivilegiert“ bezeichnete, brachte er viele Zuhörer gegen sich auf.

„Qualität steht nicht zur Debatte“, sagte Birgit Riedl von Boa e.V. Bei dem Ostberliner Trägerverein laufen Ende August die Mittel für zwei Drogen- und eine Präventionsberatung und ein Wohnprojekt aus. Träger wie die Caritas hätten eine bessere Lobby und deshalb vergleichsweise weniger Kürzungen hinzunehmen. Viele der Zuhörer verließen die Anhörung ziemlich ratlos. „Was sollen wir stundenlang über Qualitätssicherung reden“, faßte Riedl stellvertretend zusammen, „wenn wir bei den Finanzen nicht eingreifen können?“ Barbara Bollwahn