Bullterrier Vogts Von Mathias Bröckers

Gestern kreidete man ihm nur die Langeweile in der zweiten Halbzeit etwas an – gemeckert werden muß eben immer. Aber wehe, die Tschechen hätten noch zwei glückliche Tore gemacht, dann wäre er wieder der Watschenmann der Nation gewesen. Die Rede ist natürlich von Berti Vogts, dem Bundestrainer, der von Medien und Öffentlichkeit so despektierlich behandelt wird wie sonst kaum eine Persönlichkeit in Deutschland. Daß beim Fußball die besseren Trainer immer schon in Millionenzahl auf den Sofas und Stammtischbänken sitzen, kann die Geringschätzung, die Vogts widerfährt, genauso wenig erklären wie seine Leistungsbilanz, an der es nichts auszusetzen gibt. Daß es ihm an Fachverstand fehlt, kann niemand behaupten, als Spieler hat er alles gewonnen, was man im Fußball gewinnen kann. Und doch heißt es, wenn die Rede auf ihn kommt, meist nur: „Ach, der Berti...“ Am verniedlichenden „i“ allein kann der mangelnde Respekt nicht liegen, obwohl es schwer fällt, sich etwa im Dramatiker-Pantheon einen Berti Brecht vorzustellen; und auch nicht an der kleinen Statur, die spätestens seit Napoleon (und Detmar Cramer) durchaus autoritätsfähig ist. Auch daß Vogts als Spieler nicht zur Techniker-Abteilung, sondern zur Gift- und Grätschen-Fraktion zählte, kann ihn als Trainer nicht abwerten; schließlich haben es ehemalige Hackklötzchen wie Otto Rehagel später am Spielfeldrand zu höchsten Feldherrnehren gebracht.

Den Berti jedoch putzt die Journalie bis heute runter, als sei er irgendein Kreisklassencoach, und auch bei Schöngeistern und Intellektuellen gilt er als dumpf und provinziell, der Kohl des Fußballs. Die Tatsache, daß Vogts rhetorisch nicht zu den Filigrantechnikern gehört, kann diese Zweitklassigkeit nicht erklären; was ein Beckenbauer daherredet, ist kaum weniger banal, wird aber stets als kaiserliches Dekret akzeptiert, während bei Berti die Interviewer noch mal naßfrosch hinterherhaken, auf daß er nur ja in die Defensive gerät. Mit dem kann man's ja machen. „Ein „Kaiser“ braucht nur drei Wochen die „Bayern“ zu tranieren, um als Meistermacher gefeiert zu werden, wogegen Vogts, selbst wenn er als Europameister aus England zurückkäme, nur auf ein bißchen Schulterklopfen hoffen kann: als Fähnleinführer Fieselschweif, der unsere Jungs im Sommerlager doch ganz prima betreut hat. Genie, Glanz und Größe wird man ihm nicht zusprechen, da kann er noch so viel leisten: Er bleibt der Terrier. Und mit einem solchen Wappentier wollen sich die Deutschen einfach nicht identifzieren: wenn's schon kein Werwolf sein darf, dann wenigstens ein Schäferhund! Daß hochgezüchtete Terrier mittlerweile alles wegbeißen, was zwei oder vier Beine hat, hilft da wenig, zu einem kraftstrotzenden Bullterrier wurde der Wadenbeißer Berti nicht aufgewertet. Die Rituale des Fußballs verwandeln kriegerische Auseinandersetzung in Folklore und sind insofern eine Zivilisationsleistung höchsten Grades. Doch was die Wappentiere angeht, scheint die Kunst der Sublimierung noch nicht so weit fortgeschritten. Einen Häuptling, der im Zeichen eines kleinen Terriers in den Krieg zieht, wollen die Deutschen nicht lieben, selbst wenn er gewinnt. Dann lieber noch eine großkotzige „Operation Werwolf“ in den Sand setzen oder mit Glanz, Gloria und einem korrupten Kaiser untergehen. Ziemlich bescheuert.