Botschafterappell an Entführer in Kaschmir

■ Ein verhafteter Kaschmiri sagt: Dirk Hasert und seine drei Mitgefangenen sind tot

Delhi (taz) – Die Botschafter Deutschlands, Großbritanniens, Norwegens und der USA haben am Sonntag einen eindringlichen Appell an die Entführer in Kaschmir gerichtet, ihre Geiseln freizulassen. „Unsere Botschaft an die Entführer ist einfach“, erklärten die vier Diplomaten während eines Besuches in Kaschmir: „Es bringt überhaupt nichts, die Geiseln weiter festzuhalten. Es ist im Interesse aller, wenn Sie sie freilassen.“

Doch sind der Deutsche Dirk Hasert und seine drei Mitgefangenen – zwei Briten und ein US- Amerikaner – noch am Leben? Seit Wochen halten sich in Srinagar und Delhi Gerüchte, wonach die vor fast elf Monaten Entführten ermordet worden seien.

Die Gerüchte entspringen Aussagen von Nasir Mohammed, einem Mitglied der militanten propakistanischen Organisation Harkat al-Ansar. Mohammed war Ende April von der indischen Armee verhaftet worden. Er soll im Verhör ausgesagt haben, die von einer mysteriösen Organisation namens al-Faran verschleppten Geiseln seien bereits im Dezember 1995 hingerichtet und begraben worden. Diese Aussagen wurden vom indischen Geheimdienst und von Vertretern der drei westlichen Botschaften zunächst nicht ernstgenommen. Es hieß, die Geiseln seien noch im März von unbeteiligten Personen in einem Gebirgstal südlich von Srinagar gesichtet worden. Doch die Gerüchte hielten sich, und in der letzten Woche wurden die Behauptungen Mohammeds endlich einer ernsthaften Prüfung unterzogen. Er soll mit einem Helikopter über das fragliche Gebiet geflogen worden sein, um die angebliche Grabstätte zu identifizieren. Darauf wurde ein Gebiet in der Nähe des Dorfs Magam abgeriegelt und von 500 Soldaten durchkämmt. Sie wurden von Spürhunden aus Deutschland und Großbritannien unterstützt. Laut Angaben aus Srinagar konnten sie jedoch keine Spur entdecken.

Die offizielle Meinung lautet weiterhin: Die Gefangenen sind am Leben; die vermutlich freiwillige Gefangennahme Mohammeds und seine Aussagen sollten eine falsche Spur legen. Nach Ansicht westlicher Diplomaten ist die al- Faran eine Front der Harkat al- Ansar. Durch die Entführung sollten deren Anführer aus indischer Haft freigepreßt werden.

Allerdings zeigen die angeblichen Aussagen Mohammeds eine durchaus plausible Argumentationslinie, die einen Mord als möglich erscheinen läßt. Der Entschluß dazu sei, so Mohammed, gefallen, nachdem die Verhandlungen mit den indischen Behörden für einen Austauch der Geiseln mit drei pakistanischen Harkat-Führern ohne Fortschritte geblieben seien. Zunächst hätten sich die Geiselnehmer mit den vier Ausländern nach Pakistan durchschlagen wollen; sie seien jedoch von der ständigen Flucht im unwegsamen Gebirge zermürbt gewesen.

Laut Mohammed bildeten die Entführer drei Gruppen, welche abwechselnd die Bewachung der Geiseln übernahmen. Am 4. Dezember sei eine der Gruppen von indischen Truppen aufgespürt und unter Feuer genommen worden; der al-Faran-Kommandant Abdul Hamid Turki wurde dabei erschossen. Dies habe bei den anderen Entführern Panik ausgelöst und zu dem Entschluß geführt, sich der Gefangenen zu entledigen. Daß die Entführer zu einer solchen Tat fähig sind, steht außer Zweifel, seitdem die fünfte Geisel, der Norweger Hans Christian Ostro, vergangenen August enthauptet aufgefunden wurde. Dazu kommt, daß praktisch alle Widerstandsgruppen in Kaschmir die Geiselnahme verurteilt haben. Und auch die pakistanische Regierung distanzierte sich von der Tat, sie konnte kein Interesse haben, daß die Geiseln plötzlich in ihrem Staat auftauchen. Die zermürbende Flucht und die Isolation innerhalb des kaschmirischen Widerstands sind schwerwiegende Argumente für die Version Mohammeds. Bernard Imhasly