Autos tödlicher als Aids

Gesundheitsfolgen des Kfz-Verkehrs in der Dritten Welt. Das Risiko, auf der Straße zu sterben, ist in Bangkok 30mal höher als in England  ■ Von Johannes Spatz

Berlin (taz) – Der Kfz-Verkehr stellt weltweit das größte Gesundheitsrisiko aus der technischen Umwelt dar. Die Situation in Ballungsgebieten der Bundesrepublik erscheint vor dem Hintergrund von Megastädten wie Mexiko City, Bangkok oder Soul wie ein Ausflug in einem Gesundheitspark. Das Tötungsrisiko, das in den ärmsten Ländern der Welt von einem Auto ausgeht, beträgt mehr als das Hundertfache des Risikos in der Bundesrepublik.

Insbesondere in den Schwellenländern wurden die Gefahren, die von Infektionskrankheiten verursacht wurden, längst von den Gesundheitsauswirkungen des Verkehrs überholt. Die moderne Seuche, die bisher nicht zu stoppen ist, lautet „Kfz-Verkehr“.

Die Bevölkerungszahl der Erde wird sich bis zum Jahre 2050 etwa verdoppelt haben. Gleichzeitig wird es einen anhaltenden Trend vom Land in die Städte geben. Im Jahre 2010 wird mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten leben. Tabelle 1 zeigt die Bevölkerungsprognose für die größten Städte der Welt für das Jahr 2010.

Weltweit nimmt die Zahl der Fahrzeuge in den kommenden Jahrzehnten explosionsartig zu. Während heute noch zwei Drittel der Fahrzeugflotte sich in den Industrieländern befinden, werden die Schwellenländer im kommenden Jahrtausend die Führung übernommen haben. Insbesondere in den Metropolen der sogenannten Zweiten Welt wird die Zahl der Autos extrem ansteigen. Nach einer Studie von Greenpeace erhöht sich die Anzahl der Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner in Afrika von zehn im Jahre 1990 auf 69 im Jahre 2010 und in Südostasien von zwölf auf 197. In Nordamerika, Europa, in Japan, Australien und Neuseeland soll das Wachstum um 2030 aufhören.

Das Risiko auf den Straßen der Ersten Welt läßt sich mit der Zahl der Todesfälle beschreiben. Die Zahl der Verletzten ist bereits schwieriger von Land zu Land zu vergleichen, da die Definition nicht ausreichend standardisiert ist. Noch schwieriger sind Aussagen für die übrige Welt zu treffen. Die Dunkelziffer ist unterschiedlich hoch. In den industrialisierten Ländern wie Deutschland-West oder Großbritannien ist die Meldung von verkehrsbedingten Todesopfern mit 95 Prozent sehr hoch. Starke Verletzungen werden in Großbritannien zu 70 bis 90 Prozent und in Deutschland zu 50 bis 60 Prozent gemeldet. Bei leichten Verletzungen liegt die Meldefreudigkeit noch niedriger: nämlich in Großbritannien bei 60 bis 80 Prozent und in Deutschland-West bei 40 bis 50 Prozent. Das Meldeverhalten in der Dritten Welt ist entsprechend dem jeweiligen Entwicklungsstand sehr unterschiedlich. So unterschieden viele Länder nicht zwischen leicht und stark verletzten Verkehrsopfern. Daher gibt es bei der Zahl der Verletzungen nur allgemeine Schätzungen.

Während der Kfz-Verkehr in der Dritten Welt als Gesundheitsgefahr noch nach den Infektionskrankheiten rangiert, gehört er in den Metropolen der sogenannten Schwellenländer zu den wichtigsten vier Todesursachen. Dort hat er Todesursachen wie Tuberkulose, Malaria oder Aids weit hinter sich gelassen.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben weltweit 885.000 Menschen an den Folgen von Kfz-Unfällen. Zwei Drittel der Todesfälle beziehen sich auf die Dritte Welt, obwohl sich dort nur ein Drittel aller Fahrzeuge befindet. Es ist anzunehmen, daß die Dunkelziffer in den Entwicklungsländern ganz erheblich ist und insgesamt auf der ganzen Welt jährlich weit mehr als eine Million Menschen auf der Straße sterben. Die 885.000 Todesopfer können mit den Todesfolgen anderer weltweit verbreiteter Krankheiten verglichen werden.

Das Bewußtsein für Todesursachen entspricht häufig nicht statistischen Fakten oder Abschätzungen. Eine im Bewußtsein sehr weit oben angesiedelte Krankheit ist die Cholera. Die WHO spricht von 6.800 Personen, die an Cholera jährlich sterben. Auch Aids liegt als Todesursache mit jährlich (1993) 700.000 Todesfällen hinter dem Kfz-Verkehr.

Betrachtet man die Todesursachen in Metropolen wie Bangkok, so rangiert dort der Autoverkehr als Ursache an der Spitze. Im Vergleich zu den Industrieländern spielt der Kfz-Verkehr dort eine weit brisantere Rolle.

Das Risiko, in Thailand in Folge eines Verkehrsunfalls zu sterben, ist etwa 30mal so groß wie in England. Alle drei Jahre verdoppelt sich die Zahl der Unfallopfer in Bangkok. Damit sterben wesentlich mehr Menschen im Autoverkehr als an vielen tropischen Krankheiten. Von tausend ambulanten Patienten werden 65 wegen eines Verkehrsunfalls behandelt. Er steht an fünfter Stelle der Krankheitsursachen bei ambulanten Gesundheitsdiensten und an vierter als Krankheitsursache bei stationärer Behandlung. Die Sterblichkeit, bezogen auf den Verkehrsunfall, ist in der Zentralregion von Bangkok fünfmal so hoch wie im Nordosten des Landes.

Während in den Industriestaaten die Todesfälle bei Verkehrsunfällen leicht zurückgehen, nehmen sie in Afrika und Asien deutlich zu. So haben sie von den sechziger bis zu den achtziger Jahren in Afrika um mehr als 300 und in Asien um mehr als 200 Prozent zugenommen. Erklären läßt sich diese Situation mit dem ungleichen Stand der technischen Entwicklung. Standards der Kontrolle und Reparatur in Entwicklungsländern lassen sich nicht mit denen der Industrienationen vergleichen. Die Straßen sind oft extrem unsicher, ein ausreichendes Unfallrettungsnetz ist nicht vorhanden, ganz zu schweigen von einem intensivmedizinischen Dienst.

Auch die Luft tötet die Stadtbewohner

In den meisten Entwicklungsländern gibt es kaum aussagefähige Messungen der Luftschadstoffe. Die Quelle der Schadstoffe im urbanen Raum ist jedoch im wesentlichen der Kfz-Verkehr. Die bekannteste Stadt mit extremer Luftverschmutzung ist Mexiko City. Dort wurden im vergangenen Jahr von Greenpeace Messungen durchgeführt, die die rein optisch schon erkennbare Verschmutzung in Zahlen nachweist. Während bei uns extreme Werte von Ozon zwischen 200 und 300 Mikrogramm pro m3 Luft liegen, wurden dort Werte bis zu 600 gemessen. Dabei entstehen unmittelbar Augenbrennen und Atembeschwerden. Benzolwerte, die bei uns kaum über 50 Mikrogramm hinauskommen, erreichen in Mexiko City bis zu 400 Mikrogramm.

Untersuchungen in Lagos, Nigeria, haben dort einen durchschnittlichen Benzol-Wert von von 250 Mikrogramm pro m3 nachgewiesen. Der Höchstwert lag bei 500 Mikrogramm. Der Wert, der in der Bundesrepublik in Zukunft für Benzol zugelassen werden soll, liegt bei 10 Mikrogramm. Das bedeutet für Lagos eine 25fache Überschreitung. Da sich das Verhältnis von Konzentration des Schadstoffes zu ihren krebserregenden Auswirkungen linear verhält, bedeutet das auch das 25fache Krebsrisiko. In Berlins am stärksten belasteter Straße, der Brückenstraße, liegt der Benzol-Wert bei 55 Mikrogramm pro m3.

Es ist anzunehmen, daß die übrigen Schadstoffe aus dem Auspuff in ähnlicher Weise hochkonzentriert anzutreffen sind. Das würde bedeuten, daß Dieselruß und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die insbesondere bei unvollständiger Verbrennung entstehen, in hohen Konzentrationen anzutreffen sind. Wenn man den unterschiedlichen Altersaufbau von Nigeria im Vergleich zu den Indstriestaaten außer acht läßt, existiert in diesen Metropolen der Dritten Welt ein mehr als Fünffaches durch Luftschadstoffe verursachtes Krebsrisiko.

Außerdem ist eine erhöhte Sterblichkeit älterer Menschen zu beachten, wenn die Luft Partikel in großer Konzentration enthält. Untersuchungen in São Paulo haben das erhöhte Sterblichkeitsrisiko von 13 Prozent bei Menschen im Alter von 65 Jahren und älter gezeigt, wenn die Partikelkonzentration um 100 Milligramm pro m3 ansteigt. Bei den Partikeln handelt es sich vor allem um Dieselruß.

Das Fazit ist eindeutig: Eine äußerst bedrohliche Gesundheitsgefahr in den Entwicklungsländern, das Auto, wird bisher nicht ernstgenommen. Im Gegenteil, alternative Mobilitätsentwicklungen wie vormals in der VR China werden revidiert unter dem großen Beifall der Autoindustrie. Gerade die deutsche Automobilindustrie ist führend beteiligt an der galoppierenden Ausbreitung des Autos weltweit. Das Gesundheitsrisiko wird dabei nicht thematisiert.