■ Vorschlag
: Schwule und lesbische AutorInnen Rußlands in der Literaturwerkstatt

Es ist schon ein eigentümlicher Zufall, daß der 15. Todestag von Jewgenij Charitonow auf den diesjährigen Christopher Street Day fällt. Der Autor, Schauspieler und Regisseur, der am 29. Juni 1981 kaum 40jährig an einem Herzinfarkt starb, galt in den 70er Jahren als schillerndste Figur der Moskauer Subkultur. Er machte Theater mit Taubstummen, therapierte stotternde Menschen, indem er sie aus Zeitungsartikeln Gedichte formen ließ, und er war mehr oder minder offen schwul – ein Verstoß nicht nur gegen die Konvention, sondern auch gegen das Strafgesetzbuch, das bis 1993 sexuelle Handlungen zwischen Männern mit Haft und Arbeitslager ahndete.

Auch Charitonows literarische Arbeiten brechen die Regeln. Die lineare Logik der Buchseite wird gekippt, Sätze und Absätze bilden geometrische Formationen oder schlängeln sich über die Seiten. Wörter sind mal durchgestrichen, mal verkehrt herum gedruckt. Buchstaben tanzen aus der Zeile, und zuweilen bleichen sie gar aus. „Roman“ hat Charitonow, der zu Lebzeiten nur verstreut in Untergrundzeitschriften veröffentlichen konnte, dieses Kapitel von „Unter Hausarrest. Ein Kopfkissenbuch“ genannt. 1993 in Moskau erschienen, ist das Konvolut jetzt auf deutsch bei Rowohlt erschienen.

Grund genug für die Literaturwerkstatt, unter dem Motto „Der Tanz der unmöglichen Liebe“ eine dreitägige Lesereihe zu organisieren, die an Charitonow erinnert und zugleich einige schwule und lesbische AutorInnen aus Rußland vorstellt. Am heutigen Abschlußabend liest Konstantin Pleschakow den Essay „Die verbotene Leidenschaft in der russischen Literatur“, der mit Homophobie und Prüderie im literarischen Kanon abrechnet. Daneben stellt Natalja Sharandak die Erzählung „Die holde Kunst“ vor, eine Variation des Butch/Femme-Themas. Sharandak zeichnet auch für das Vorprogramm verantwortlich: zwei sehenswerte Dokumentarvideos, die neben vielem anderen zeigen, daß die Gender-Debatte nicht auf die westliche Welt beschränkt bleibt. Irik aus Petersburg, Butch durch und durch, führt vor, wie wenig das biologische Geschlecht zu sagen hat: In einem weiblichen Körper, so die Zugschaffnerin in Militäruniform, wohne nicht unbedingt das, was gemeinhin als Frau bezeichnet wird. Cristina Nord

„Der Tanz der unmöglichen Liebe“, heute, 17.30 Uhr: Videos von Natalja Sharandak; 20 Uhr: Natalja Sharandak und Konstantin Pleschakow. Von Charitonow wird „Aljoscha-Serjosha“ gelesen. Literaturwerkstatt Berlin, Majakowskiring 46/48, Pankow.