Spiel mit der Phantasie

■ Bondscoach Hiddink setzt „ein Zeichen, was das Niveau des Fußballs angeht“

Birmingham (taz) – Jetzt mal Scherz beiseite: Kehrt der Fußball tatsächlich zurück? Und zwar in der Gestalt des holländischen Teams? Nach dem 0:0 von Birmingham gegen die braven Schotten gibt es allenthalben auch große Zweifel. Wer von den steilen Rängen von Villa Park heruntergeschaut hat auf den Rasen, dem mag aber zumindest eine Ahnung gekommen sein, wie Fußball auch sein kann.

Die Niederländer geben, selbst wenn sie sich bloß in den Ausgangspositionen einfinden, mit ihrem 3-1-3-3 ein beeindruckendes Bild ab. Und wenn sie erst spielen, dann nicht allein mit dem Ball, sondern immer auch mit der Phantasie des Betrachters. Es ergeben sich permanent drei Fragen: Was könnte der Ballführende Erstaunliches tun? Wen wird er wohl anspielen? Was wird dann passieren?

Nun mag man einwenden, dies seien stets die elementaren Fragen. Mag sein, doch hier ist das anders. „Die Holländer“, sagte Schottlands Manager Craig Brown, „haben einen Luxus, den sonst nur wenige haben: so viele talentierte Spieler.“ Dann hat er sie aufgezählt bis hin zu Peter Hoekstra, der nicht einmal auf dem Feld stand.

Alle können spielen – und jeder bringt etwas Besonderes ein. Der Linksfuß Witschge seine raffinierten langen Bälle, Rechtsaußen Taument seine Sololäufe, Linksaußen Jordi Cruyff die Fähigkeit, ein oder gar zwei Gegenspieler auf wenig Raum zu passieren, Dennis Bergkamp derzeit hauptsächlich sein Kopfballspiel. „Dennis hat nicht das gebracht, was er bringen kann“, sagt Bondscoach Guus Hiddink. Das gilt für alle vierzehn, die gespielt haben. Aber sie haben eine Ahnung davon vermittelt, wie sie spielen könnten. Vielleicht schon morgen gegen die Schweiz.

Diskutiert werden wird nun wieder die Frage: Braucht guter Fußball Führer? Leute wie Matthias Sammer, die lautstark anderen Aufgabe und Dienstgrad in der jeweiligen Situation zuteilen? „Ich rede nicht von Führern“, hat Bergkamp zu diesem Thema gesagt, „nur von elf guten Spielern.“

Tatsächlich war gegen die Schotten neben dem ganz abwesenden Frank de Boer auch der gesperrte Kapitän Danny Blind nicht dabei. Die beiden, findet Hiddink, „sind unsere Wirbelsäule“. Und sie sind für ihn auch „unsere Anführer“. Hinten in der Mitte ist der Ort, wo der Fußball beginnt. Da standen gegen die Schotten Rodas Johan de Kock und Ajax-Spieler Bogarde. Sicher. Ohne die geringsten Probleme mit Gordon Durie verrichteten die ihren Job. Mehr allerdings nicht.

Irgend etwas fehlt den Holländern noch. Manche glauben: Erfahrung. Das Team ist als Team noch so jung, daß Hiddink glaubt, es könne möglicherweise erst in fünf, sechs Jahren seinen besten Fußball produzieren. Andere sagen: Es fehlt minimales Glück. „Obwohl wir 20 Minuten dominiert haben“, sagt Hiddink, „haben wir einfach das erste Tor nicht geschafft.“ Der Ball ging nicht rein, obwohl er es mehrmals eigentlich hätte tun müssen. Der Strafstoß wurde nicht gegeben, obwohl ein entsprechender Regelverstoß vorlag.

Und da ist auch noch etwas anderes. Es war von gewisser Symbolkraft, als Bergkamp in den letzten Minuten gut stand, aber doch zu Davids spielte, weil der noch besser positioniert war. Allerdings längst noch nicht gut genug für jenen blinden Schuß, mit dem er dann die potentielle Chance verschleuderte. Den Holländern war, da das Tor nicht von selbst fiel, schlicht die Geduld ausgegangen, ihr Spiel durchzuziehen. Aber, sagt Hiddink: „Andererseits bin ich sehr zufrieden mit der Art und Weise, wie Holland spielt.“

Nach einer halben Woche EM hat sich ein kleiner Favoritenkreis gebildet, dem qua Sieg und Auftritt Deutschland und Frankreich angehören, einzig qua Performance aber auch die Niederlande. Richard Williams hat dieser Tage einen wunderschönen Satz im Guardian geschrieben: „Was uns hergebracht hat, ist die gemeinsame Liebe zu einem Spiel, das so viel Klasse und Schönheit vermitteln kann, daß es Gier oder Pomp oder schnöden Patriotismus zu überwinden vermag.“ Genau das aber tut und kann das Spiel der Holländer. Potentiell. „Wir setzen hier ein Zeichen, was das Niveau des Fußballs angeht“, sagte Guus Hiddink. Das ist zumindest schon mal klasse und schön gesprochen. Peter Unfried