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Keinen Rechtsanspruch auf Wohnraum

Auf der Habitat konnten sich die Länder der „Dritten Welt“ nicht durchsetzen. USA und EU haben einen Kompromiß ausgehandelt, der den Entwurf der Abschlußerklärung verwässert  ■ Aus Istanbul Bernd Pickert

Die UN-Konferenz über menschliche Ansiedlungen geht so zu Ende, wie sie begonnen hat: mit wenig Teilnehmerinteresse. Wenn morgen früh das Plenum der Konferenz zum „High Level Segment“ zusammentritt, dann werden sich unter den Delegierten aus aller Welt nur 16 Staats- und Regierungschefs befinden. Prominentester Gast: Israels Staatspräsident Ezer Weizman. Aus den Industrieländern hat sich kein einziger Staats- oder Regierungschef angekündigt.

Dabei wird das Plenum noch einiges zu tun haben, bis sich am Freitag abend endgültig die Tore des Lütfi-Kirdar-Konferenzzentrums schließen: Auch nach neun Verhandlungstagen sind nicht alle Formulierungen in der 113 Seiten starken „Habitat-Agenda“, dem „Globalen Aktionsplan“, per Konsens geklärt. Dabei schien es ein gutes Zeichen für die Konferenzdynamik, als der Hauptstreitpunkt, ob nämlich in der Präambel und in den allgemeinen Zielsetzungen ein „Recht auf Wohnraum“ verankert werden sollte, bereits zum Ende der ersten Verhandlungswoche mit einem Kompromiß zwischen USA und Europäischer Union (EU) ausgeräumt werden konnte.

Die USA hatten sich – in ungewöhnlicher Allianz mit Indien – gegen die ursprüngliche Formulierung gewehrt, wie sie auf der letzten Vorbereitungskonferenz in New York im Februar diesen Jahres vorgeschlagen worden war. Darin hieß es etwa in Paragraph 2,2: „Wir erkennen an, daß das Recht auf angemessenen Wohnraum, das den Zugang zu einer sicheren und gesunden Unterkunft sowie zur Grundversorgung einschließt, für das physische, psychische, soziale und ökonomische Wohlergehen einer Person essentiell ist.“ Und in Paragraph 9: „Jeder sollte einen Rechtsanspruch auf einen angemessenen Lebensstandard haben, der angemessene Lebensmittelversorgung, Kleidung und Wohnraum einschließt.“

Die Hauptsorge der USA galt dabei ihrem eigenen angelsächsischen Rechtssystem: Ein von der Regierung unterzeichnetes internationales Abkommen, das das Recht auf angemessenen Wohnraum normativ festschreibt, könnte in den USA auch individuell eingeklagt werden.

Daher argumentierte die US- Regierung, das Recht auf Wohnraum sei bereits in der UN-Menschenrechtskonvention von 1948 enthalten, für eine erneute Formulierung bestehe kein Bedarf. Die Länder der „Dritten Welt“, zusammengeschlossen in der Gruppe 77 (G 77), und die EU hingegen plädierten für die ursprünglichen Formulierungen der Habitat-Agenda. Um einen Kompromiß auszuarbeiten, bildeten EU und USA eine Untergruppe – die am Freitag vergangener Woche eine Einigung vermeldete.

In den entsprechenden Absätzen geht es jetzt munter durcheinander: Der neu formulierte 2,2 lautet jetzt etwa nur noch: „Wir erkennen an, daß der Zugang zu einer sicheren und gesunden Unterkunft sowie zur Grundversorgung für das physische, psychische, soziale und ökonomische Wohlergehen einer Person essentiell ist.“ Und Paragraph 9 lautet nunmehr: „Jeder hat das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, der angemessene Lebensmittelversorgung, Kleidung und Wohnraum einschließt.“ Vom Rechtsanspruch ist nicht mehr die Rede, die Formulierung ist zur allgemeinen politischen Willenserklärung geworden. Diese wird im Paragraph 24 zudem noch abgeschwächt: Darin heißt es, die Verpflichtung der Staaten zur „schrittweisen Umsetzung“ des Rechts auf Wohnraum werde „noch einmal bekräftigt“ – eine Formulierung, die die USA sicherheitshalber bereits in New York in die Agenda eingebracht hatten, und die schon sprachlich signalisiert, daß hier kein neues Recht geschaffen wurde.

Die Verhandlungen über das Recht auf Wohnen demonstrieren beispielhaft, wie sehr bei der Habitat-Konferenz Abwehrkämpfe geführt werden, um nicht hinter die Erklärungen vorangegangener UN-Konferenzen zurückzufallen. Noch offen ist etwa die beim Weltumweltgipfel in Rio 1992 verabschiedete Zielsetzung einer „nachhaltigen Entwicklung“: Die G 77 besteht hier darauf, diese zumindest gleichwertig mit dem Ziel des wirtschaftlichen Wachstums zu formulieren – ein Rückschritt gegenüber den ökologischen Zielvorgaben. Eine Einigung darüber dürfte wohl erst am Donnerstag abend in Aussicht stehen. Dann nämlich sollen auch die Fragen der Finanzierung des Habitat-Folgeprozesses geklärt sein. Bislang lehnen die Industrieländer jegliche neue finanzielle Verpflichtung ab. Ob das so bleibt, davon wird abhängen, ob sich die G 77 in der Nachhaltigkeitsfrage erweichen läßt.

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