Ost-CDU wird zur Psychosekte

Bei der „Werkstatt der Einheit“ wollte die CDU über ihre Rolle im Osten diskutieren. Doch der Abend mit 200 Gästen verkam zur Therapiesitzung  ■ Von Severin Weiland

Die ältere Frau klatscht begeistert. Hermann Kreutzer, der Vorsitzende des rechten Kurt-Schumacher-Kreises der SPD, hat der Christdemokratin so richtig aus dem Herzen gesprochen. Der „verhängnisvolle Egoismus der 68er und ihr Lustgewinn“, ja, den gelte es auch künftig zu bekämpfen. Martin Federlein, CDU-Stadtrat in Pankow und Mitorganisator des CDU-Forums „Werkstatt der Einheit“, blickt ein wenig ratlos in die Runde.

Kurz zuvor hatte noch der Ostberliner Michael Hahn, seines Zeichens stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union, die Parteifreunde mächtig verstört. „Solange wir nicht über Brüche und Verstrickungen in der eigenen Partei reden, können wir nicht in der Demokratie ankommen.“

Das hätte der Anfang sein können für einen Streit über die Rolle der früheren DDR-CDU. Doch so viel Selbstkritik und Anklage, selbst in dosiert-harmloser Form, war den rund 200 Parteimitgliedern und Gästen am Dienstag abend im Abgeordnetenhaus dann doch zuviel.

Es lag wohl nicht nur am Wetter, daß es ein Abend der schwülstigen Formulierungen wurde. Ein „aufgeklärtes Nationalbewußtsein“ forderte da der Ost-Abgeordnete Andreas Apelt. EX- DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière beklagte die „Mauer in den Herzen“, und Exbundespostminister Christian Schwarz-Schilling verlor sich in elegischen Schilderungen über seine ersten Auftritte im Osten.

Ganz zu Beginn hatte Federlein noch zaghaft den „polarisierenden Wahlkampf“ der CDU im Osten kritisiert. Doch der Ball, mit Schwung geschlagen, plumpste kurz auf und rollte dann schnell ins Aus. In der Tat habe die CDU durch die Rote-Socken-Kampagne viele Ostdeutschen zur PDS „gejagt“, meinte auch de Maizière. Schnell aber verlegte sich der Jurist dann lieber auf das Menschlich- Pastorale. Biographien und Abschlüsse „erster und zweiter Klasse“ dürfe es nicht mehr geben, auch nicht in der Union. Das wollte der kulturpolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Uwe Lehmann-Brauns, dann doch nicht stehenlassen, und er verstieg sich zur These, Großmäuler gebe es überall, aber „doch nicht in der Politik“. Bei Besetzungen in der CDU jedenfalls sei allein die Qualität des Bewerbers ausschlaggebend. Das Publikum murrte – schwieg dann aber.

Wenig war von Programmatik die Rede, um so mehr aber von Empfindungen und Verletzungen. Mittlerweile, philosophierte de Maizière, gebe es nicht nur „Jammerossis“ und „Besserwessis“, sondern auch „Jammerwessis“ und „Trotzossis“. Fritz Niedergesäß, stellvertretender CDU-Landesvorsitzender, berlinerte die Besserwessis ab und stellte sich selbst ein eher zweifelhaftes Zeugnis aus. Paragraphen zu lernen sei nicht seine Sache, sagte er, und werde es wohl auch nie sein, denn da gingen einem ja „alle Ideen verloren“. Statt dessen pries der Bauingenieur die unkonventionelle Art der Ostpolitiker, die die Einheit erst möglich gemacht habe.

Westler Lehmann-Brauns mußte sich von de Maizière für seine Bemerkung rügen lassen, der Osten sei „zu Deutschland gekommen“. Solche Formulierungen seien es, die die Ostdeutschen verärgerten.

Wenig später rächte sich der Gescholtene mit der süffisanten Bemerkung, die Biographie eines Manfred Stolpe legitimiere diesen nicht für das Amt des Brandenburger Ministerpräsidenten. Eine Spitze, die einige im Saal unruhig auf den Stühlen hin und her rücken ließ: Schließlich hatte de Maizière 1991 wegen angeblicher Stasi-Zuträgerschaft sämtliche CDU-Parteiämter aufgegeben.

Die Papiere ostdeutscher Christdemokraten, die im Frühjahr eine stärkere Rolle der Ostpartei gefordert hatten, spielten an diesem Abend keine Rolle. Allein Lehmann-Brauns warnte vor einer „Lega Ost“. Das sei nicht nur zum Scheitern verurteilt, sondern wecke „auch im Westen das Bedürfnis, sich Biotope zu schaffen“.

Am Ende blieb es einer Ärztin, Mitglied der Frauenunion, vorbehalten, den Abend unfreiwillig als das zu entlarven, was er war: eine Therapiesitzung. Man solle doch, so ihr Vorschlag, zwei Arbeitsgruppen bilden. Die eine könne der „Aufarbeitung“ dienen, damit „die Herzen wieder frei werden. Und in der anderen könne man „reparieren“, was kaputtgemacht worden sei.