Was Gruppe war, soll Gesellschaft werden

■ Um die Diskussion über die Umstrukturierung der Förderung nichtstaatlicher Theater anzukurbeln, haben die „Geprüften Theater“ Berlins ein Konzept vorgelegt

So, wie es ist, wird es nicht bleiben. Das ist in diesem Fall gut und auch im Koalitionspapier festgeschrieben. Die Förderung der Privattheater wird überprüft, was insbesondere diejenigen betrifft, die im Haushalt als „sonstige Privattheater“ betitelt sind und die, anders als das Grips Theater, das Berliner Ensemble oder die Schaubühne, deutliche Profilierungsprobleme haben: Berliner Kammerspiele, Hansa Theater, Kleines Theater, Renaissance Theater, Schloßparktheater, Tribüne und Vagantenbühne.

Teilweise schon seit Jahrzehnten werden sie, unhinterfragt und nur den jeweiligen haushaltsbedingten Schwankungen unterworfen, gefüttert, während es im freien Bereich ebenfalls einige Theater gibt, die mit sehr viel größerem Risiko gleichfalls privattheaterartig fest und kontinuierlich arbeiten. Die aber werden von einem Beirat regelmäßig qualitätskontrolliert, und daß ihrer festen Struktur durch eine jeweils dreijährige Optionsförderung ansatzweise Rechnung getragen wird, hilft zwar ihnen, schadet aber den anderen Freien: Denn wenn der Großteil des Geldes für freie Gruppen an heimliche Privattheater ausgegeben wird, verpufft das Fördermodell zur notdürftigen Erhaltungsmaßnahme.

Schon im letzten Herbst haben sich daher sieben Theater aus der freien Szene zur Initiative „Geprüfte Theater“ zusammengeschlossen. Ihr Ziel: eine Gleichstellung mit den derzeitigen (sonstigen) Privattheatern, wobei die regelmäßige Überprüfung durch einen Beirat auf alle übertragen und eine kostensparende Infrastruktur (Pools für Bühnentechnik, Marketing etc.) errichtet werden soll. Die Berliner Kammeroper, das Freie Schauspiel und die Neuköllner Oper gehören zu den „Geprüften“, Stükke, theater 89, das Theater zum Westlichen Stadthirschen und das Zan Pollo Theater.

Und während im Senat mittlerweile Vorüberlegungen zu einer Neustrukturierung der nichtstaatlichen Theaterlandschaft angestellt werden, haben die „Geprüften Theater“ getan, was eine Interessengemeinschaft tun sollte: Sie haben sich mit der Neuen Opernbühne Berlin und dem Theater Affekt renommierten Zuwachs verschafft, geben einen gemeinsamen Spielplan heraus und haben als Diskussionsgrundlage ein Konzept erarbeitet. Dieses allerdings befaßt sich nicht nur mit ihrer eigenen Situation, sondern umspannt gleich den ganzen nichtstaatlichen Bereich. Zentraler Punkt ist die Errichtung eines Referats „Theatergesellschaften“ im Kultursenat, das sowohl für die institutionelle als auch die projektbezogene Förderung zuständig sein soll.

Daß in diesem Konzept der Begriff „Freies Theater“ überhaupt nicht mehr vorkommt, daß es in Berlin statt dessen fortan nur Staatstheater, Theatergesellschaften und Laientheater geben soll, ist angesichts der Leerformel, zu der „Freies Theater“ in künstlerischer und politischer Hinsicht in den letzten Jahren geworden ist, einerseits konsequent.

Andererseits erstaunt es aber doch, wie schnell, pragmatisch und diskussionsfrei der Anspruch des letzten Vierteljahrhunderts, „freie“, weil thematisch und ästhetisch gegen den Staatsbetrieb gerichtete Theaterarbeit zu machen, aufgegeben wird. Was Gruppe war, soll Gesellschaft werden – ohne Zweifel: ein Drang zur Etablierung.

Das Konzept sieht drei Formen von „Gesellschaften“ vor: Theatergesellschaften mit eigener Spielstätte, Spielstättenbetreiber ohne eigene Produktionsgesellschaft und Theatergesellschaften ohne eigene Spielstätte, wobei wiederum kontinuierlich arbeitende Projektgesellschaften und Ad-hoc- Gesellschaften unterschieden werden sollen. Soviel Gesellschaft war nie, und die entsprechende Kritik folgt auf dem Fuße. Dirk Cieslak, der Regisseur der Gruppe Lubricat, vermutete gestern im Tagesspiegel, daß hinter den Reformbestrebungen der „Geprüften Theater“ einfach „ein ernstes Wettbewerbsproblem“ stecke, was besser zu lösen sei, wenn sich das Freie Schauspiel-Theater Berlins – ähnlich den Tanz-Gruppen – „als eine europäische, besser noch internationale Kunst zu begreifen“ lerne. Was damit strukturell gemeint sein könnte, wird nicht deutlich – indes, hier ist die erste Stimme, die sich gegen die flächendeckende Vergemeindung professioneller Theaterarbeit in Berlin wehrt und – wenn auch diffus – darauf beharrt, daß eine Bestimmung der eigenen Position einer Neustrukturierung vorangehen müsse, zumal bei den vielen Gruppen, die eben nicht so festgefügt arbeiten wie die „Geprüften“ und das vielleicht auch gar nicht wollen.

Gemäß dem Konzept soll es einen fünfköpfigen Beirat geben, der nicht mehr von den Gruppen selbst gewählt, sondern vom Kulturausschuß des Abgeordnetenhauses (auf Vorschläge hin) berufen wird. Da der Beirat hauptberuflich arbeiten soll, ist es auch nicht mehr nötig, sich an Kritiker zu halten, die für ihre ständigen Theaterbesuche von den Medien bezahlt werden. Vielmehr sei an Leute gedacht, die aus dem Theater selbst kämen, vielleicht aus dem Verwaltungsbereich, erläutert Ilka Seifert von der Neuköllner Oper. Was die Förderung betrifft, so wird eine Vierjahressicherheit für Theatergesellschaften mit eigener Spielstätte angestrebt – nur ein Jahr mehr als die bisherige Optionsförderung, aber eben nicht optional, sondern garantiert. Für die momentanen Privattheater, die sich ihrem Selbstverständnis nach ja eher an den Staatstheatern orientieren, wäre das eine Zumutung. Und eine Chance. Sobald jemand nach Ansicht des Beirats dauerhaft unter sein Niveau gerät, könnte er nämlich dazu aufgefordert werden, sein Haus doch mal einer anderen Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.

Denn daß mit einem Theater auch gleich die entsprechende Spielstätte verlorengehen könnte, soll nach dem Konzept unbedingt verhindert werden. Fluktuation der Produzierenden innerhalb einer zuverlässigen Infrastruktur, das ist das Ziel. Nicht nur das Theater am Halleschen Ufer soll als zentrale Spielstätte für Berliner Gruppen unterhalten werden, sondern durchaus auch andere Häuser. Und auch die Projektgesellschaften sollen Vierjahresförderung erhalten, so sie es verdienen, während Ad-hoc-Gesellschaften ihr Geld anlaßspezifisch erhalten wie jetzt auch.

Insgesamt stellt man sich vor, daß der Etat für die Förderung freier Gruppen (rund 9 Millionen Mark) und der für sonstige Privattheater (rund 14 Millionen Mark) einfach zusammengelegt werden könnten. Und bei der Verteilung des Geldes könnten strukturpolitische Merkmale und die Frage des Profils zugrunde gelegt werden. Also: Was macht die Neuköllner Oper, was sonst keiner macht? Macht das Freie Schauspiel, was vielleicht auch das Renaissance Theater macht, dafür aber in Neukölln? Und wie sieht es an der Kasse aus? Das Theater als Markt betrachtet. Wobei Ilka Seifert erklärt, daß für „experimentelle“ Projekte natürlich die Rentabilität keine Rolle spielen dürfte. Was aber ist „experimentell“?

Ein rein strukturell erarbeitetes Konzept ist ebenso angreifbar wie überzeugend in einer Zeit, in der es an nichts so mangelt wie an inhaltlichen und ästhetischen Verbindlichkeiten. Gemäßigte Sicherheit und kalkulierbares Risiko für alle? Ein Diskussionsvorschlag. Die Privattheater werden sich zu Wort melden müssen und natürlich auch alle freien Gruppen, die an diesem Konzept nicht beteiligt waren: die Tanztheater und viele Projektmittelempfänger. Wichtig ist, daß etwas auf dem Tisch liegt und sich der Senat baldmöglichst damit befaßt. Denn einen Konsens gibt es ja wohl: So, wie es ist, darf es nicht bleiben. Petra Kohse