Das Leben als Erntedankfest

Weit aufgefächert: „Kunst und Macht im Europa der Diktatoren 1930 bis 1945“, eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin  ■ Von Harald Fricke

Die Bilder gleichen sich nicht. Schon im ersten Stock des Zeughaus-Museums wird das Spektrum von Kunst, die unter totalitärer Herrschaft entstand, weit aufgefächert. Ein kraftvoll orange gehaltenes Cinemascope-Gemälde des Sowjetrussen Samochwalow von 1935 zeigt junge AthletInnen, die bei einer Sportparade dem Leningrader KPdSU-Chef Sergej Kirow Blumen reichen. Daneben hängt Mario Sironis freskenhaftes „Gastfreundschaft (Frau mit Hund)“, das 1936 Italiens Identität unter Mussolini zurück bis in die Zeit der Etrusker verfolgen sollte. Der Spanier José Maria Sert griff mit seiner heiligen Theresa auf Blattgold in die Mythenbildung des Bürgerkriegs ein: „Botschafterin der göttlichen Liebe zu Spanien bringt unserem Herrn die spanischen Märtyrer von 1936 dar“. Gemeint sind nicht die Widerstandskämpfer der Republik, sondern Francos gefallene Anhänger.

Schließlich Adolf Zieglers Triptychon „Die Vier Elemente“, von keuschen Nacktheiten symbolisiert. Eine mit bescheidenen künstlerischen Mitteln umgesetzte Allegorie, akademischer Durchschnitt, nicht gerade zugkräftig im Kulturkampf gegen die „entartete Kunst“ der Beckmanns, Heartfields, Klees und Chagalls. Zu Recht hat der Kunsthistoriker Bertold Hinz darauf hingewiesen, daß unter Hitler Bilder zugelassen waren, „die schon immer im Haus der Kunst gehangen hatten – in den Jahresausstellungen, die aber auf die Region Bayern beschränkt waren“.

Was immer die Überblicksveranstaltung zu „Kunst und Macht der Diktatoren 1930 bis 1945“ an Einheitlichkeit verdeutlichen soll, die Beispiele streben in der Vielfalt von Stilen auseinander. Entsprechend haben die britischen Kuratoren die ursprünglich für Londons Hayward-Gallery konzipierte Ausstellung nach Nationen angeordnet und in Messekojen unterteilt. Die Museumssituation geht auf die Pariser Weltausstellung von 1937 zurück, bei der die totalitären Länder sich mit überdimensionalen Pavillons präsentierten. Das italienische Gebäude ging im Neonlicht unter, Moskau glänzte mit einem kolossalen Kolchose- Paar auf dem Dach. Nach der Leistungsschau wurden die Paläste abgerissen, nur der französische Trocadéro blieb stehen.

Symbole einer heroischen Sklaverei

Ein kurzer Schwarzweißfilm zeigt, wie sehr das Publikum von dieser Aggression verunsichert war. Schweizer Trachtengruppen taumeln durch dorische Säulen ins Dunkel der deutschen Hallen, die mit Modellen des Rheinhausener Krupp-Stahlwerks und Arbeiter- Mosaiken unter dem Motto „Kraft durch Freude“ gefüllt waren. Die Fotografin Gisèle Freund nannte das Gesamtkunstwerk im Kommentar für Art et métiers graphiques einen „symbolischen Kokon“, der die heroische Sklaverei als Leitgedanken der Nationalsozialisten kaum verhüllen könne.

Man war also gewarnt. Dennoch schrieb der Hauptkommissar Edmond Labbé damals im Katalog: „In einer Welt, auf der die Gefahren der Zukunft schwer lasten, hat es den Anschein, als verliere die Zivilisation das Vertrauen in sich, in ihre Werte, ihre Kräfte und Pflichten. Eine gewisse Entmutigung und Mattigkeit hat von der Seele der Menschen Besitz ergriffen und entzieht der Hoffnung geradezu den Boden. Und nun hier die Ausstellung, bricht plötzlich mit äußerster Willenskraft und Wucht hervor und erhebt sich zum Himmel wie ein mächtiger, von der gesamten Menschheit ausgehender Schrei der Zuversicht und der Begeisterung.“ Ganz offenbar war die Inszenierung der Macht mit der Utopie einer befreiten Menschheit durchaus in Einklang zu bringen.

Die Ausstellung im Berliner Zeughaus Unter den Linden rekonstruiert zwar das Pariser Vorbild, trotzdem entwickelt sich eine fremde Dynamik im Umgang mit dem Material. Manchmal scheint man dem revisionistischen Diktum von der Gleichgültigkeit aller Systeme gerne Folge zu leisten. Im Fall Spanien vermischt sich der kommunistische Widerstand mit Francos nationaler Propaganda. Auf einer Wand sind ein Dutzend Plakate angebracht, die zwischen Arbeitern in der Defensive gegen den Faschismus und marschierenden Truppen keinen Unterschied machen. Daß in allen Diktaturen die Künste gleichgeschaltet waren, hier wird es selbst zur politischen Rhetorik. Joan Mirós Fresko „Aidez L'Espagne“ zur Weltausstellung verliert damit den letzten moralischen Halt. Der Appell löst sich wie auch Josep Renaus Elends- Collagen im allgemeinen Kriegstreiben auf; er wird noch einmal im großen Einerlei geopfert, das schon im Titel Diktaturen auf Diktatoren reduziert.

Umgekehrt ist nicht alles Faschismus, was wie Soldatenstiefel glänzt. Der italienische Futurismus findet keinen Gefallen an der tumben Fleischbeschau der deutschen Nazikunst; die sowjetischen Bauernbilder sind zu kleinteilig gepinselt und naturalistisch verklärt gegenüber den Aussagen der Propagandaplakate Francos, die nicht für die Ewigkeit, sondern werbegrafisch gedacht waren.

Der Bruch mit der Vergangenheit bleibt ebenso unklar wie eine Absage an die Modernität. Die Quadriennale von Rom läßt noch 1935 Giorgio De Chiricos „Gladiatoren“ neben schwulen Burlesken von Alberto Ziveri, Carràs glorifizierenden Männerporträts, Dottoris kantigem Duce-Kopf oder Lucio Fontanas Abstraktionen gleichwertig bestehen. Erst 1937 spitzte sich das Verhältnis zu, als die Mailänder Il Perseo den Kunstkritiker Mino Somenzi von Artecrazia angriff. Nun wurde der anarchische, moderne und teils beliebige Charakter des Futurismus als zutiefst unitalienisch und antifaschistisch bezeichnet. Die Motive blieben davon unberührt.

Der Streit um Bilder ging nicht vom Dargestellten aus. Es war die Haltung des Künstlers zum Staat, auf die allen voran Hitler jedes Werk verpflichtet wissen wollte: „Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflichtende Mission.“ Auf Anraten seines Propagandastabes hat sich Hitler jedoch für Autobahnen, Gewaltarchitektur, Volksempfänger und HJ-Poster als Medien entschieden, die in der gedrängten Ausstellung zwei Trakte in Beschlag nehmen.

Was aus deutschen Museen entfernt wurde, geschah einerseits äußerst willkürlich nach Geschmacksempfinden, wenn man etwa die neusachlichen „Mädchen am Fenster“ von Georg Schrimpf betrachtet. Zugleich stand hinter jedem Verbot das Ziel, alles auszurotten, was ästhetisch nicht dem körperlichen Zuchtideal der Nazis entsprach. So entstand ein übersteigerter Reinheitskult, der sich in zig Aktdarstellungen widerspiegelte. Albert Speers Berliner Germania-Phantasie wäre von aberhundert monumentalen Männern aus Marmor umrahmt gewesen, die Arno Breker oder Josef Thorak explizit mit riesigen Penissen ausgestattet hätten. Alptraum oder Wunschbild einer Gesellschaft, in der sich Menschen von ihren Panzerungen kaum mehr unterscheiden sollten?

Jongleure als plüschige Plankunst

In der sowjetischen Malerei finden sich keine Nackten. Und nur wenige Maschinen. Wie im Dritten Reich nutzt auch die sowjetische KP das Bild einer aufstrebenden Industrie bloß zu Werbezwecken. Bei Hitler sind es Urlaubsplakate aus dem Teutoburger Wald, und Stalin läßt vom Grafiker Gustav Kluzis 1934 den Bau der Moskauer Metro feiern. Der Rest ist Idylle: Nachdem die Oktoberrevolution eine Begeisterung für Konstruktivismus, für Geschwindigkeit, Automobile und „Aeroplane“ ausgelöst hatte, wurde mit dem Beschluß des Zentralkomitees vom April 1932 der sozialistische Realismus zur Pflicht erhoben.

Konsequent malt Rodtschenko plüschige Jongleure und Tatlin 1946 Pappeln. Leben als endloses Erntedankfest: Immer wieder wird dieses Parteiprogramm mit Vera Muchinas Statue „Industriearbeiter und Kolchosbäuerin“ illustriert, die 1937 über dem Sowjetpavillon in Paris Wacht hielt. Auch im Zeughaus steht ein Modell. Doch die „Berlin – Moskau“-Ausstellung im letzten Jahr zeigte auch, wie sich von Muchinas Paar ein Bogen zu ihrer kubistisch bewegten Figur „Die Flamme der Revolution“ (1922) schlagen ließ. Selbst der oft als Rückzugskünstler bezeichnete Malewitsch kommt vom schwarzen Quadrat nicht mehr ganz frei. Sein „Bärtiger Bauer“ folgt 1932 zwar dem Auftrag, bleibt jedoch abstrakte Kunst.

Bis 30. 8., Deutsches Historisches Museum Berlin, Unter den Linden. Katalog: 48 DM