■ Daumenkino
: Total Eclipse

Mit ihrem neuen Film „Total Eclipse“ reiht Agnieszka Holland den Dichter Arthur Rimbaud endgültig in die Serie von Kultfiguren ein, von denen man wegen ihres traurigen Daseins als Klo- und Flurposter eigentlich nichts mehr hören und sehen will. Der Film erzählt von dessen Liebesbeziehung zu dem alkoholabhängigen Poeten Paul Verlaine, die kurz nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges 1871 begann. Das blonde Backpfeifengesicht Leonardo Di Caprio darf als Rimbaud nach Herzenslust rülpsen, herumpöbeln und Porzellantierchen zerdeppern, was dem werdenden Vater Verlaine (David Thewlis) gut gefällt. Nicht jedoch dessen Frau und Schwiegereltern, die mit Besorgnis verfolgen, wie Verlaine von den Unflätigkeiten des jungen Frechdachs angesteckt wird. Als er beginnt, seine Ehefrau (Romane Bohringer) zu verprügeln, ihr die Haare anzuzündeln und gelegentlich die Zunge herauszustrecken, reagiert sie zwar zunächst empört, besucht den abtrünnigen Verlaine aber wenige Monate später in Belgien und erwartet ihn dort als überraschend gutgelaunte Muse nackt auf einem Hotelbett.

Zwar kann sich das Drehbuch von Christopher Hampton bei den meisten der dargestellten Episoden auf allerlei literarhistorische Quellen, Briefe und Gedichte berufen – allein, das macht die filmische Darstellung nicht erträglicher. Rimbaud und sukzessive auch Verlaine entsprechen in diesem Film – vom wehenden Mantel bis hin zur gerunzelten Stirn am Schreibtisch – jenem vermeintlichen Spießer-Klischee, gegen das gewisse Künstler nicht müde werden zu revoltieren. Und so bemühen sich auch die beiden Filmdichter ebenso nervtötend wie redlich, am Lagerfeuer und am Strand die Liebe neu zu erfinden, was ihnen aber nicht gelingt. Deswegen wirft das von sich selbst total begeisterte Junggenie dem zehn Jahre älteren Freund alsbald Durchschnittlichkeit und viele andere Gemeinheiten vor.

Gewiß sollen die beiden Hauptfiguren auch keine schlichten Sympathieträger sein, doch weil auch der historische Kontext der Liebesgeschichte nur zur malerischen Ausgestaltung der Kulisse dient, wirkt „Total Eclipse“ wie eine flaue Gegenwartstragödie vor antiken Möbeln und romantisch verfallenen Bauernhäusern. Gegen Ende des Films flirren noch Rimbauds spätere Jahre in Afrika, wo er sich u.a. als Waffenhändler seinen Lebensunterhalt verdiente, konsequent ästhetisiert als wirre Fieberphantasie über die Leinwand. Und so verläßt man das Kino mit dem merkwürdigen Gefühl, daß die legendäre Radikalität dieses Poeten in etwa der Frechheit von Jacobs-Kaffee entspricht. Dorothee Wenner

„Total Eclipse“, Frankreich, 1996. Regie: Agnieszka Holland; Buch: Christopher Hampton. Mit: Leonardo Di Caprio, David Thewlis, Romane Bohringer u.a.