Das Großereignis Totalflop

„Waterworld“ war nur der Anfang: Unter 100 Millionen macht man es in Hollywood nicht mehr. Wann kommt das tiefe Tal der Superproduktionen?  ■ Von Lars Penning

In Hollywood denken alle immer nur ans Geld. „We don't make pictures, we make money“ soll das Motto des Studios RKO Radio Pictures in den Vierzigern und Fünfzigern gelautet haben. Heute haben es die Filmproduzenten jedoch immer schwerer, auf ihre Kosten zu kommen: Die Budgets für Produktion und Werbung steigen in immer astronomischere Höhen. Laut Jahresbericht des Verbandes der US-Filmindustrie kostete der durchschnittliche US-Film 1995 55 Mio. Mark, weitere 26,5 die Werbung. Dies entsprach einer Steigerung von 5,7 Prozent gegenüber 1994. Zum Vergleich: 1942 leistete man sich bei „Casablanca“ die gigantische Summe von 2.000 Dollar für einen Trailer und 3.000 Dollar für Werbung.

Wer geglaubt hatte, der Totalflop von Renny Harlins Piratenstück „Cutthroat Island“ – den Produktionskosten von über 100 Mio. Dollar standen in den USA Einnahmen von 10 Mio. Dollar gegenüber – hätte die Studios zur Vorsicht verleitet, sieht sich getäuscht: Zur Zeit sind mehr Filme mit Budgets jenseits der 100-Mio.- Dollar-Marke in Produktion als je zuvor. Special-effects-Orgien allerorten: James Cameron wird mit gewaltigem Aufwand die „Titanic“ versenken, Paul Verhoeven zieht es mit „Starship Troopers“ ins All, „Batman and Robin“ werden erneut Bösewichter bekämpfen, und die Rückkehr der Dinosaurier aus „Jurassic Park“ steht in „The Lost World“ ebenfalls bevor.

Mit derlei Budgets bringen sich die Studios jedoch in eine Situation, wo Erfolg oder Mißerfolg eines Films bereits über Sein oder Nichtsein entscheiden kann: Nach dem Flop von Michael Ciminos Western „Heaven's Gate“ mußte United Artists 1980 an MGM verkauft werden; „Cutthroat Island“ nahm die Firma Carolco mit ins nasse Grab.

Je teurer die Produktion, desto kleiner werden auch die Gewinnspannen. Im Vordergrund steht für die Studios deshalb die Risikominimierung: Bevor man Geld in eine originelle Idee investiert, dreht man lieber das soundsovielte Sequel eines Blockbusters (zumeist weniger eine Fortsetzungsgeschichte als vielmehr ein leicht variiertes Remake), oder man adaptiert alte erfolgreiche Fernsehserien wie zum Beispiel „The Fugitive“ („Auf der Flucht“). Gerade hat Brian De Palmas Agententhriller „Mission Impossible“ (bei uns hieß die Serie „Kobra, übernehmen Sie“) mit Tom Cruise in der Hauptrolle alle Rekorde gebrochen und mit 74 Mio. Dollar in der ersten Woche mehr Geld eingespielt als „Jurassic Park“.

Der Drehbuchautor als Spitzenverdiener

Um die Filme zu verkaufen, versteigt man sich zu immer gigantischeren Werbeausgaben: Das Gesamtvolumen soll 1995 in den USA bei 1,9 Mio. Dollar gelegen haben. Die Superproduktionen sollen Ereignischarakter erhalten. Wer sie nicht gesehen hat, kann nicht mitreden. Eine Politik, die jedoch riesige Probleme für die Filme mit mittleren Budgets, denen jener Ereignischarakter abgeht, schafft: Sie erfolgreich zu verkaufen wird immer schwieriger. Mit den Kosten selbst mag man in Hollywood heute nicht mehr hausieren gehen: Als Erich von Stroheim 1921 für seinen Film „Foolish Wives“ über eine Million Dollar ausgab, ließen die Produzenten die täglich aktualisierten Produktionskosten noch per Leuchtreklame verkünden. Heute hält man sich eher bedeckt – unter anderem, weil das wachsende Mißtrauen der Presse gegenüber den Superproduktionen durch verstärkte Werbung wieder ausgeglichen werden muß. Ein Teufelskreis.

Die Megabudgets erzielen Auswirkungen bis in die große Politik: Wer erinnert sich nicht an die Gatt- Verhandlungen, bei denen die Amerikaner Film lediglich als Ware, der auf allen Märkten freier Zugang zu gewährleisten ist, betrachteten, während die Europäer auf der Sichtweise von Kino als Kulturgut beharrten. Hollywood benötigt jedoch mittlerweile beinahe eine Monopolstellung auf den ausländischen Märkten, um die Herstellungskosten seiner Filme zu amortisieren.

So kostete beispielsweise Kevin Costners Endzeitepos „Waterworld“ rund 175 Mio. Dollar, spielte aber in den USA nur 88 Mio. Dollar ein. Nur die Einspielergebnisse von rund 166 Mio. Dollar im Ausland retteten den Film vor der völligen Katastrophe. Sollte Hollywood jedoch die Filmindustrie in Europa und Asien durch seine totale Dominanz zerstören, würde man sich zumindest einen Ast, auf dem man sitzt, selbst absägen. Schließlich ist Hollywood immer schon auf den Nachwuchs talentierter Schauspieler, Kameraleute und Regisseure aus aller Welt angewiesen.

Hauptverursacher der explodierenden Kosten sind vor allem die exorbitanten Gagenforderungen der Stars und die Special effects. Während sich die Regisseure der fünfziger Jahre um das größte bezahlte Statistenheer stritten, müssen es heute immer gewaltigere Effekte sein. Ausgaben von 25 bis 30 Millionen Dollar sind keine Seltenheit mehr. Das Geld fließt insbesondere in die Entwicklung neuer Spezialeffekte – denn welcher Regisseur will schon mit den Tricks von gestern drehen?

Das hat vor allem Auswirkungen ästhetischer Art: Um alle Schauwerte innerhalb von zwei Stunden ausgiebig ins rechte Licht rücken zu können, jagen Filme wie „Cutthroat Island“, „Batman Returns“ oder „True Lies“ von einem Höhepunkt zum nächsten, während Plot und Charaktere auf der Strecke bleiben. Einer Generation von Regisseuren, die an Videoclips und Werbung geschult wurde, fällt eine derartige Umsetzung natürlich nicht schwer.

Die großen Profiteure der hollywoodschen Gigantomanie sind momentan die Stars und die Autoren. Mitte der fünfziger Jahre setzte man für die Originalverfilmungsrechte eines mit 800.000 Mark Budget damals durchschnittlichen Spielfilms einen Betrag von 15.000 Mark an, das Honorar für den Drehbuchautor schlug mit 20.000 Mark zu Buche. Selbst wenn man die Inflation in Rechnung stellt, würden Hollywoods Starautoren für einen derartigen Betrag heute nicht einmal mehr den Bleistift spitzen. So kassierte Joe Eszterhas für seine Drehbücher zu „Basic Instinct“ und „Sliver“ je 4,5 Millionen Mark, und auch die Honorare für die Rechte an Bestsellerromanen erreichen mittlerweile galaktische Ausmaße: Michael Crichton und John Grisham konnten zuletzt rund fünfeinhalb Mio. Mark kassieren.

Geld statt Glamour und Geheimnis

Was die heutigen Stars gegenüber früheren Hollywood-Größen an Glamour und Geheimnis verloren haben, scheinen sie durch den Glanz des Geldes kompensieren zu wollen. Daß Humphrey Bogart 36.667 Dollar und Ingrid Bergman 25.000 Dollar für ihre Mitwirkung bei „Casablanca“ verdienten, wen interessiert das heute noch? Doch woran werden wir uns in 30 Jahren bei einem Grimassenschneider wie Jim Carrey erinnern, der mit Gagen von etwa 30 Mio. Mark zur Zeit die Hitliste der Kassenmagneten anführt? Was wird uns zu Demi Moore einfallen, die ihre Karriere ebenfalls weniger ihrem Talent als vielmehr der Tatsache verdankt, keinem „unmoralischen Angebot“ abgeneigt zu sein? Vielleicht der von Annie Leibowitz fotografierte nackte Babybauch? Ihre Schönheitsoperationen? Die Nacktfotos im Playboy? Oder die 18 Mio. Mark Gage für ihren neuen Film „Striptease“? Etwa die Hälfte der Gage werde sie an Agenten und Anwälte abgeben müssen, beklagte sie neulich. Vielleicht kann ihr ja ihr Gatte Bruce Willis mit etwas Kleingeld aushelfen: Er verdiente zuletzt etwa 24 Mio. Mark. Was nach Abzug von Mitarbeiterhonoraren und Steuern übrigbleibt, sei ihnen gegönnt – bis das Publikum eines Tages vom oftmals faden Einheitsbrei der Superproduktionen die Nase voll haben wird. Und wenn das amerikanische Kino dann außer Feuerwerken keine zündenden Ideen zu bieten hat, brechen harten Zeiten an.