Offen für die Invasion

■ Die klassischen Onlinedienste lösen sich ins Internet auf. CompuServe geht ein strategisches Bündnis mit Microsoft ein

Die Zeiten sind vorbei, zu denen Softwarefirmen oder auch Onlinedienste selig an ihren eigenbrötlerischen Programmen, Gebräuchen und Diskussionszirkeln basteln durften. Alles muß überall laufen und überall verfügbar sein. Das Internet hat weltweit die Forderung nach offenen Standards durchgesetzt, die Anbieter geschlossener Systeme jeder Art sind im Zugzwang. Das gilt für das alte Schlachtschiff „Microsoft“ ebenso wie für die Ausflugsdampfer „America Online“ (AOL) und CompuServe. Auch sie haben ihren Kurs gewechselt und steuern jetzt das offene Meer an.

CompuServe war 1969 als Computer-Timesharing-Gesellschaft gegründet worden für Leute, die sich die Rechenzeit an den damals noch extrem teuren Computerungetümen teilen wollten. 1979 startete der Onlinedienst, wie er heute bekannt ist – und sogar berühmt, seit seine deutschen Statthalter wie eine Laienspielschar vor schlichten bayerischen Polizisten eingeknickt sind: Mit der vergeblichen Sperrung von Usenet-Newsgruppen haben sich die CompuServer von Unterhaching bei München im ganzen Cyberspace unsterblich blamiert.

Der staatsfromme Akt der Prüderie brachte ihnen zwar durchaus auch neue Kunden ein. Aber eben die müssen jetzt umlernen. CompuServe selbst wechselt ins sittenlose Internet hinüber – und das ausgerechnet in einer strategischen Allianz mit Microsoft, dessen eigener Onlinedienst „Microsoft Network“ einst als Monopoldrohung gegen den ganzen Onlinemarkt gefürchtet war.

Alles vergessen und verziehen. „Red Dog“ heißt jetzt der Codename für die Aktion Internet. CompuServe-Kunden müssen sich von den den bisherigen („proprietären“) Softwarelösungen lösen. Sie sollen auf alle künftigen Angebote mit einem Standard-Web- Browser zugreifen können. Microsoft bringt die technischen Grundlagen ein, und Bill Gates hat für dieses Programm feinsinnig den Namen „Normandy“ gefunden.

Wem gilt diese Invasion, und wann kommt der D-Day? CompuServe geht nicht nur mit Microsoft- Ausrüstung ins Internet, der Onlinedienst übernimmt den Microsoft-eigenen Web-Browser „Internet Explorer“ für die eigene Benutzeroberfläche. Als Belohnung setzt Microsoft ein CompuServe- Symbol auf die Standardoberfläche von Windows 95 – sicher nicht der unwichtigste Punkt des Deals, der, wie es heißt, auch die „Bereiche Marketing, Distribution und Vertrieb umfaßt“.

Die CompuServe-Ikone wird neben den Symbolen von „Microsoft Network“ und auch AOL stehen, da AOL, zumindest was den Internet Explorer angeht, ebenfalls mit Microsoft kooperieren will. Denn exklusiv ist keine dieser Allianzen. Noch gelten auch auf dem Gebiet der Geschäfte ziemlich offene Standards. Schon vor dem Abkommen mit Microsoft hatte CompuServe in der letzten Zeit eine ganze Serie von Kooperationen bekanntgegeben: Mit dem Browser-Marktführer „Netscape“ wurde eine strategische Zusammenarbeit bei sogenannten Intranet-Lösungen für Firmennetze und die kostenlose Benutzung des Netscapes Navigator vereinbart. Vom Pressekonzernableger Hearst New Media erhält CompuServe ausgewählte Online-Ausgaben von konsumentenorientierten Zeitschriften für seinen neuen Dienst „WOW!“, der nun eher Familien statt Computerprofis ansprechen soll.

Der Telefonkonzern AT&T wiederum bietet in seinem neuen Dienst „WorldNet“ auch die CompuServe-Inhalte an – zu einem festen Monatspreis für unbeschränkten Zugang, wovon CompuServe- Kunden nur träumen können. Die „Security First Network Bank“ will Homebankingdienste anbieten, und schließlich soll mit Software von Vocaltec das weltweite Telefonieren über das Internet zu lokalen Tarifen möglich werden – vermutlich zum Verdruß des Partners AT&T.

Die Börse jedenfalls war schwer beeindruckt von dem neuen Kurs. Der bislang weltweit erfolgreichere Konkurrent AOL, der noch keine klare Strategie in Richtung Internet erklärt hat, wurde durch sinkende Aktienkurse abgestraft. Für eine gewisse Unruhe sorgt auch, daß die AOL-Bosse damit begannen, in größerem Umfang eigene Aktien zu versilbern, bislang für über 24 Millionen US-Dollar. Während die Internetnutzung noch immer rapide zunimmt, wird sich Prognosen zufolge der Zustrom neuer Kunden für den Hausdienst von America Online spürbar verlangsamen. Zu schaffen machen den Onlinediensten auch die hohen Kündigungszahlen. Über sechs Millionen US-Bürger sollen in der letzten Zeit nur geschnuppert und sich dann gleich wieder abgemeldet haben.

In der Kooperation mit Microsoft glaubt CompuServe-Geschäftsführer Bob Massey sich jetzt besser auf neue Inhalte und Dienstleistungen konzentrieren zu können. Zu lange hatte sich CompuServe darauf verlassen, daß Computerfirmen unterstützende Foren für ihre Anwender einrichten – zur vollen Zufriedenheit der Kundschaft. Aber auch sie wollen heute ihre Angebote einem viel breiteren Publikum über das Internet zukommen lassen – ironischerweise hat Microsoft kürzlich seine eigenen Support-Foren aus CompuServe herausgenommen.

Auffallend schwach jedoch sind noch immer die deutschsprachigen Inhalte vertreten, obwohl CompuServe in Deutschland bereits eine Viertelmillion Teilnehmer hat. Während AOL im Gespann mit Bertelsmann reichlich Online- Ausgaben deutschsprachiger Publikumszeitschriften von Stern bis Geo (wenn auch eher als Werbehäppchen) bieten kann, versucht CompuServe inzwischen beinahe täglich ein neues, deutsches Eigenprodukt zu lancieren. Unter der Quantität leidet die Qualität. Das „Dirk Jasper Filmlexikon“ etwa bietet „deutschsprachige Informationen zu Tausenden von Filmen“ an. Aber die lesen sich wie holprige Werbetexte von der Rückseite mäßiger Videokassetten. Als Großereignis wird dann auch schon mal angekündigt, wenn der deutsche Synchronsprecher einer Star- Trek-Figur für eine Stunde zum Live-Chatten auftaucht.

Fragt sich nur, wer im Bündnis von Microsoft und CompuServe mehr auf den anderen angewiesen ist. Denn auch Bill Gates hatte das Internet zu lange unterschätzt. Er fühlt sich von Netscapes „Navigator“ und Suns Programmiersprache „Java“ zu Recht bedroht. Gates-Stellvertreter Steve Balmer sieht den Netscape-Browser schon als Konkurrenz zu Windows, als eine Erweiterung des Betriebssystems, wie es einst Windows gegenüber DOS war. CompuServe könnte Microsoft helfen, seine Variante des Browsers doch noch in den Markt zu drücken und zum Standard zu erheben. Deswegen ist der Internet-Explorer inzwischen auch für den Apple lieferbar. Das Programm soll sogar für Unix, das traditionelle Betriebssystem der Computerprofis, umgeschrieben werden, was im Hause Microsoft der Verletzung eines religiösen Tabus gleichkommt.

Doch alle Skrupel müssen fallen, wenn es um die Führungsrolle von Microsoft geht. Daß eine Software nach dem Invasionsziel der Alliierten des Zweiten Weltkriegs benannt ist, verrät alles über das Denken, das dahintersteht.

Doch der Partner CompuServe kommt bei solch globalen Plänen noch ziemlich ins Stolpern. Er wollte in diesem Jahr seinen Deutschen Kunden endlich Gebühren in deutscher Währung berechnen. Leider ermittelten die Computer einen eher unrealistischen Dollarkurs – die Werbeaktion lief auf eine drastische Preiserhöhung hinaus. Proteste und eine Reihe weiterer Pannen folgten nach. Nachdem in den Monaten März, April und Mai in Mark abgerechnet wurde, informierte Geschäftsführer Felix Somm schließlich kleinlaut mit einer E-Mail darüber, daß es jetzt doch wieder in Dollars und damit viel billiger geht. Schon länger zahlungspflichtige Kunden fühlen sich wieder ganz zu Hause. Sie hatten den CompuServe-Information- Service ja schon immer voller Haßliebe „CI$“ genannt. Bernd Kling

bkling@berlin.snafu.de