Tina Modotti

Auch so eine Legende: Wie es zum teuersten Foto der Welt kam. Als Madonna nämlich mit der Modefirma „Esprit“ bei Sotheby's um die Wette steigerte. Esprit blätterte für Tina Modottis Foto von den Rosen 164.000 Dollar hin. Seither träumt Madonna davon, das Leben der Modotti zu spielen.

Tina Modotti – nur wenige Leben haben so viele Mythen provoziert. Zu ihrem 100. Geburtstag am 16. August sind Gedenkveranstaltungen und Publikationen immer noch mit „der Faszination dieser geheimnisumwitterten Frau“ umgeben. Die einen sehen sie als Freiheitskämpferin, die anderen als stalinistische Agentin. Für manche ist sie die Femme fatale, für wieder andere die Künstlerin, die dem Patriarchat zum Opfer fiel.

Wer Tina Modotti wirklich war, das hat unzählige BiographInnen beschäftigt. Zu den bekanntesten gehören Christiane Barckhausen und Pino Cacucci, die Ende der 80er Jahre in der DDR und in Italien veröffentlichen – mit völlig konträren Positionen. „Ich war Kommunistin und wollte so sein wie sie. Tina war eine Art Vorbild“, sagt Christiane Barckhausen heute.

Pino Cacucci dagegen, früher Anhänger der Roten Brigaden, interessierten vor allem Modottis Verwicklungen in die stalinistischen Verbrechen. Modotti als Opfer, zermahlen zwischen faschistischer Verfolgung und stalinistischen Intrigen. Sie tritt in dem Buch allerdings so in den Hintergrund, daß Cacucci 1991 aus dem gleichen Material eine neue Biographie...

...vorlegte, in der er Modotti stärker ins Zentrum rückt.

Im August kommt nun die mit Abstand umfangreichste Biographie auf den deutschen Markt. Geschrieben hat sie die mexikanische Schriftstellerin Elena Poniatowska, nach über zehnjährigen Recherchen. Poniatowska ist durch ihre Romane und Sozialreportagen berühmt geworden, ist politisch nicht so festgelegt wie Barckhausen und Cacucci und scheint daher ideal, Tina Modotti für die Nachwelt zum Leben zu erwecken.

Sie beginnt ihren biographischen Roman Tinissima mit dem tiefsten Einschnitt in Modottis Leben: dem Mord an ihrer großen Liebe, dem Kubaner Julio Antonio Mella, der im Januar 1929 an ihrer Seite erschossen wird. Modotti kommt wegen „Mord aus Eifersucht“ vor Gericht.

Die Zeitungen heizen die Stimmung gegen die „Mata Hari der Komintern“ an und veröffentlichen die Aktfotos, für die Modotti Modell gestanden hatte. Die Kommunistische Partei Mexikos behauptet, der kubanische Diktator Machado habe den Mord in Auftrag gegeben. Pino Cacucci dagegen unterstellt, daß Vittorio Vidali, Modottis späterer Lebensgefährte, den Mord an Mella im Auftrag Stalins einfädelte – und daß Modotti seine Mitwisserin war.

Bis heute ist der Mord nicht geklärt. Elena Poniatowska breitet sowohl Mellas politische Aktivitäten aus als auch die Widersprüche, in die sich Tina vor Gericht verwickelt. Doch ohne Interpretation kommt auch Poniatowska nicht aus, und leider legt sie diese in...

...die intimsten Gefühle von Modotti hinein, läßt die Leserin in ihre Haut schlüpfen und sogar an ihren Orgasmen teilnehmen. In diesen Szenen wird Tina Modotti wieder einmal zur bloßen Projektionsfläche. Und zwar für Poniatowskas Sicht auf Weiblichkeit, mit ihrem Hang zum lustigen Kitsch: „In ihrer Brust brennt statt eines Herzens ein roter Stern.“ Seufz.

Für die deutsche Ausgabe hat Poniatowska ungefähr ein Viertel ihres Buches gekürzt – vor allem den Gesellschaftsklatsch aus dem Mexiko der zwanziger Jahre. Geblieben ist die Geschichte von Tina Modotti, der Immigrantin, die in den USA als Frau die Rolle „vom Tellerwäscher zum Millionär“ durchläuft.

1896 wird sie in Italien geboren und geht mit sechzehn Jahren nach San Francisco. Dort arbeitet sie sich aus den Fabrikhallen der Textilindustrie in die Studios von Hollywood hoch, spielt in drei Stummfilmen mit. 1923 geht sie mit ihrem Geliebten und Lehrer, dem US- amerikanischen Avantgarde-Fotografen Edward Weston, ins benachbarte Mexiko.

Dort streben die KünstlerInnen nach einer von den Massen verehrten Kunst und lehren die Landbevölkerung Lesen und Schreiben. Modotti wird zur begeisterten Fotografin, emanzipiert sich von Weston und stellt...

...immer häufiger Menschen in den Mittelpunkt ihrer Fotos – oft reichen ihr Hände. Arbeiterhände, um Schaufeln geklammert, Puppenspielerhände mit hervortretenden Adern, sonnenverbrannte Hände von indianischen Frauen, die Wäsche auf Steinen schrubben. Mit ihrer Kamera fängt sie Elend, Leid, Wut und organisierten Protest ein. Die berühmten Fotos der Tina Modotti: Menschen wogen wie ein Ozean von Sombreros, sie strömen zu einer Kundgebung, drängen sich um eine Ausgabe der Zeitung El Machete, die sie jetzt lesen können.

Pino Cacucci schreibt: „Tina Modotti hat den Weg für die gesellschaftskritische Photo-Reportage bereitet, durch die Robert Capa, David Seymour und Gerda Taro später unsterblich werden. Auf dem Höhepunkt ihrer Kunst angelangt, beschließt sie, diese im Namen einer Revolution aufzugeben, die sie nie erleben wird.“

Ein Jahr nach dem Mord an Mella wird Modotti aus Mexiko ausgewiesen. Im Oktober 1930 reist sie nach Moskau und widmet sich nur noch der Parteipolitik, gehört zur Leitung der Internationalen Roten Hilfe, nimmt am Spanischen Bürgerkrieg teil und geht 1939 nach Mexiko zurück.

Als sie am 5. Januar 1942 stirbt, macht sie wieder Schlagzeilen. Die Presse spricht von einer stalinistischen Eliminierung, eingefädelt von Vidali. Bei Poniatowska...

...dagegen stirbt eine erschöpfte Modotti eines natürlichen Todes. Cacucci vertritt die These vom Selbstmord. Sogar ihr Tod ist umstritten. Allen Biographien zum Trotz zerrinnt jedes Bild dieser Frau zwischen den Fingern. Allen, die sich ihr nähern, stehen ihre Projektionen im Weg. Modottis politische Rolle dürfte durch die Informationen in den Moskauer Komintern-Archiven noch erhellt werden. Doch wer Tina Modotti wirklich war, das zeigen mehr als alles andere ihre Fotos. Karin Gabbert

Christiane Barckhausen: „Auf den Spuren der Tina Modotti“, Pahl-Rugenstein-Verlag, 1988. Neu aufgelegt 1996 im agimos verlag, Kiel. „Tina Modotti: Leben, Werk, Schriften“ (neue Dokumente aus den Moskauer Komintern-Archiven), agimos verlag, Kiel 1996.

Pino Cacucci: „Ein brüchiges Leben in Zeiten absoluter Gewißheiten“, Verlag Neue Kritik, Frankfurt a.M. 1989, vergriffen. „Tina. Das abenteuerliche Leben der Tina Modotti“, Diogenes, Zürich 1993, TB, 16,80 DM.

Elena Poniatowska: „Tinissima“, Suhrkamp, Frankfurt a.M., aus dem Spanischen von C. Barckhausen-Canale, 48 DM, erscheint im August 1996.