Flanieren am Bach, Heizen mit Rapsöl

Mit dem „Modellstadtteil Vauban“ demonstriert die Bundesrepublik auf der Habitat II, wie es auch gehen könnte: Sozialökologisches Bauen und Wohnen für glückliche StadtbewohnerInnen  ■ Aus Freiburg Heide Platen

Ach, Freiburg, Dorado der Alternativen, der Ökos und Punks, mit dem mildesten Klima der Republik, dem sommersatten Getümmel leichtgeschürzter RadfahrerInnen, den Busspuren, den allenthalben bimmelnden Straßenbahnen. Ach, Freiburg: Ausgerechnet für die klotzig postmoderne „Bahnhofsachse“ samt Konzerthaus hatte sich Oberbürgermeister Rolf Böhme (SPD), so recht in sozialdemokratischem Betonstolz, entschieden. Zu gern hätte er die „Bahnhofsachse“ als deutschen Beitrag zur Ausstellung internationaler Städtebauprojekte auf der gerade tagenden UN-Weltsiedlungskonferenz Habitat II gesehen.

Freiburg bekam schließlich den Zuschlag: aber anders. Das deutsche Nationalkomitee kaprizierte sich statt auf Beton auf das Gelände der ehemaligen Vauban-Kaserne am grünen südlichen Stadtrand. Der sozialökologisch geplante „Modellstadtteil Vauban“ wird dem internationalen Publikum in Istanbul zusammen mit 16 anderen Projekten als Beispiel für „vorbildliches, bürgerschaftliches Engagement und einen kooperativen, kommunalen Planungsprozeß“ vorgestellt. Mittlerweile beteiligen sich die Stadt, das Land und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt an den Kosten für den 1994 gegründeten Bürgerverein Forum Vauban.

Noch riecht es ein wenig nach Kasernenmischung, kellermuffig plus Bohnerwachs. Vor dem Haus ein großer Parkplatz, im Hausflur lehnt eine Motorradfelge an der Wand. Im ersten Haus rechts neben dem Eingang zum Kasernengelände ist das „Forum Vauban“ untergebracht. Die Räume sind kahl, zusammengewürfelte Plastikstühle, Schultische und an den Wänden Pläne, Pläne, Pläne.

Laurenz Hermann und André Heuss improvisieren, geraten immer wieder in Streitgespräche, überlegen und lassen sich von ihrer Begeisterung davontragen. Anfangs gab es nichts als Zank um das 38 Hektar große Gelände, das die Stadt nach dem Abzug der Franzosen 1992 vom Bund kaufte. Auch Freiburg ist pleite, die Stadtoberen träumten vom großen Geschäft, von Abriß, Investoren und Technologieparks. Auch die Umnutzung zur Polizeischule war in Zeiten der Ideenarmut im Gespräch.

Aber „Susi“, die „Selbstorganisierte Unabhängige Siedlungsinitiative“ – eine Handvoll vor allem bunter StudentInnen – hatte schon 1990 andere Pläne. Sie wollte zwölf der zum Abriß stehenden Häuser für alternative Wohnprojekte übernehmen. Mit dem Argument des Sparens, einem konsensfähigen Konzept und gegen den örtlichen Widerstand erstritten sie vier Häuser. Überraschend bekam Susi parteiübergreifende Unterstützung von Land- und Bundestagsabgeordneten. Susi übernahm die Häuser, drei sind bezogen, das vierte noch Baustelle. „Na ja“, sagt heute ein Bewohner, „zwölf wären wohl auch zu viele gewesen“.

Andere Häuser wurden vom Studentenwerk übernommen und modernisiert statt abgerissen. Das Gerümpel zwischen den Susi-Häusern ist eine Mischung aus Ökopax-Mentalität, die aber auch alles am liebsten noch dreimal wiederverwenden will, und den Überbleibseln des Flohmarkts vom Vortag. Überall stehen bunte Bauwagen. Auch die sind mehr oder minder belebt mit Werkzeug, Matratzen, Flokatis, Lehrbüchern. Martin, schlank, schmal, mit bloßem Oberkörper, eine rote Steinstaubspur auf der Stirn, meißelt und hämmert. Aus dem Sandstein kommt langsam ein Frosch zum Vorschein, ein zweiter und eine Schnecke sind schon fertig, auch Schildkröten macht er, eben „Kleinvieh“, das er in Gartencentern zum Verkauf anbietet.

Dachfenster, Terrassen und die neuen Holzbalkons sind begrünt, die Dächer mancher Bauwagen auch. Das kleine Blockheizkraftwerk, das zusätzlich zu Wärmedämmung und Alternativenergie, heizt, wird mit Rapsöl betrieben. Wenn die Sonne weiter so scheint, könnten auch die reichlich wuchernden nachwachsenden Rohstoffe aus der Cannabis-Familie für den einen oder anderen Tag genug Öl zum Einheizen abgeben. Auch wenn, nach den derzeitigen Vorstellungen der PlanerInnen, ihr Kulturzentrum abgerissen werden soll, sind die Susi-Leute mit dem „Forum Vauban“ einverstanden. Es wird sich, glauben sie, auch für die selbstverwaltete Kindertagesstätte, eine Lösung finden lassen. Martin ist überzeugt davon, daß sie sich mit der Stadt – vielleicht mit Vermittlung des Forums – einigen werden.

Wie der neue Stadtteil heißen könnte? Warum nicht „Vauban“? findet Laurenz Hermann: „Das ist eingeführt.“ Der französische Festungsbaumeister Sebastin Vauban baute für den Sonnenkönig Ludwig XIV. Seine Anlagen galten bis in das 19. Jahrhundert als uneinnehmbar. Seit 1945 heißen die in den 30er Jahren von den Nazis gebauten Schlageter-Kasernen nach dem französischen Baumeister. Albert Leo Schlageter war 1923 von den Franzosen hingerichtet worden, weil er deren Verkehrswege sabotierte. Vielleicht aber auch „Schönberg“? Das ist der Hausberg gegenüber, Ausflugsziel der FreiburgerInnen und deshalb „positiv besetzt“.

„Lernende Planung“ wird, egal wie „Vauban“ einmal heißen soll, darüber mitentscheiden, keine falsche Pädagogik, keine Diktate. Negative Erfahrungen mit dem Projekt Bremen-Hollerland, bei dem sich die BewohnerInnen verpflichten sollten, ihren Autoverzicht ins Grundbuch eintragen zu lassen, haben den FreiburgerInnen zu denken gegeben. Sie favorisieren das Konzept des „stellplatzfreien Wohnens“, das die Angst vor Immobilität aufnimmt und, nach und nach, auch die Freiburger StadträtInnen überzeugt hat. Sie verabschiedeten das Vauban-Verkehrskonzept am Dienstag abend: Die Garagen werden an den Rand verbannt. Der Verzicht auf das Auto zahlt sich mit bis zu 30.000 gesparten Mark pro Wohneinheit und Stellplatz aus. Autobesitzer müssen zahlen. Für die anderen ist an Car-sharing gedacht, vom Kleinwagen bis zum Transporter.

Gemischte Bevölkerung, Miete und Eigentum, Läden, Handwerk, Café, Boulevard, Markt sollen das soziale Klima prägen. Die Lokalpresse lobt deshalb nicht nur die Kompentenz des „Forum Vauban“, sondern auch seine „Kompromißfähigkeit“. „Die Zusammenarbeit mit der Stadt“, lobt Hermann zurück, „ist prima.“ Wasser wird gespart, geklärt, wiederverwertet werden, Wärmedämmung Energie sparen. Schon bei den Toiletten gerät André Heuss ins Schwärmen. Das Abwasser soll, zusammen mit Küchenabfällen, zu Biogas werden oder als Kompost an die Landwirtschaft abgegeben werden. Wenig verschmutzes „Grauwasser“ wird in einer Biokläranlage gereinigt. Der Dorfbach bekommt eine Schutzzone. Regenwasser wird auf dem Gelände aufgefangen und versickert. Hermann: „Wir sind dann jedenfalls nicht mehr für das Hochwasser in Köln mitverantwortlich.“

Geplant ist außerdem ein genossenschaftliches Wohnmodell für MieterInnen und EigentümerInnen. Sie alle sollen von einem Umweltzentrum mit fachkompetenten Betrieben und ExpertInnen beraten werden, das später in das derzeitige Büro einziehen könnte. Dort sollen auch diejenigen beraten werden, die mit Eigenleistung billiger bauen wollen. Ein Projekt für den „betuchten Mittelstand“? Nein, das will Laurenz Hermann vermeiden. 25 Prozent der Wohnungen sollen sozialer Wohnungsbau sein. Es heiße ja auch „sozialökologisch, das ist fast wichtiger als die Ökologie“. Aber all die Pläne, meint er, bedeuteten nicht unbedingt, daß auch alles genau so sein wird, wie es geplant ist. Von anderen Projekten haben die Leute vom „Forum Vauban“ gelernt, daß so ein Stadtteil nur dann effektiv wachsen kann, wenn diejenigen, die dort einmal wohnen und leben, von Anfang bis Ende – Änderungen inbegriffen – mitplanen können.

Schon jetzt ist das Interesse groß. 200 von 1.000 in einer Werbeaktion angeschriebenen Menschen bekundeten verschärftes Interesse. Die offizielle Vermarktung der Grundstücke wird im Herbst beginnen. Die Arbeiten am ersten Bauabschnitt sollen 2001 beendet sein. Susi, die bunten Bauwagen, ein besetztes Haus, das Asylsammellager als künftige Probleme? Nicht beim Forum Vauban, sagt Laurenz Hermann: „Wir vermitteln zwischen den verschiedenen Interessen und wahren dabei unseren eigenen Standpunkt.“ Und Heuss: „Probleme? Die sind dazu da, daß sie gelöst werden.“ Am Wochenende beginnt die erste der zwei Projektbörsen, auf denen sich InteressentInnen umfassend über ökologisches Bauen informieren können. Hermann: „Jetzt steht das Bauen an. Jetzt geht es los!“