Die Parole: „Schirinowski, das ist Orrrdnung!“

■ Der russische Rechtsaußen bläst zum letzten großen Aufmarsch im Präsidentschaftswahlkampf

Moskau (taz) – Den übrigen russischen Präsidentschaftskandidaten hören die Leute zu, Wladimir Schirinowski aber schauen sie zu. Deshalb konnte der nationalpatriotische Führer der sogenannten Liberaldemokratischen Partei Rußlands (LDPR) gestern den sonnigen „Tag der russischen Einheit“ nicht verstreichen lassen, ohne sich selbst und seine Ideen noch einmal in aller Deutlichkeit vor aller Augen zu führen.

Schirinowskis AnhängerInnen sammelten sich um 12 Uhr mittags auf dem Puschkin-Platz im Zentrum Moskaus. Unter Transparenten mit der Losung „Schirinowski Präsident“ entluden zahlreiche schmucke Kleinbusse Getreue von Schirinowskis Partei. Sie waren aus der fernen Provinz und dem Moskauer Umland eigens zu dieser Veranstaltung angereist. Die Damen trugen Blümchenkleider und Spitzenblusen. Ein Demonstrant pflaumte einen anderen an, weil der in US-Jeans steckte und damit offensichtlich nicht dem russischen Ideal entsprach: „Und du willst ein russischer Patriot sein?“

Die Volkstümlichkeit der mehrheitlich anwesenden Besucher demonstrierte auch eine Trachtentanzgruppe. Ein wenig beklommen sagten uns die weiblichen Mitglieder der Truppe: „Wir sind eigentlich für die Demokraten, aber die laden uns nicht ein, und hier bekommen wir gutes Geld.“

„Nicht ganz umsonst“ arbeitete hier eingestandenermaßen auch das Double von Breschnewjew. Doppelgänger der Ex-KPDSU- Führer sind bei Moskauer Festen gerade besonders in Mode. „Lenin konnte nicht kommen, er ist auswärts“, sagt Breschnewjew. „Stalin kränkelt und hätschelt sein Bein, und Gorbatschow jobbt heute bei einer Privatfirma.“ Natürlich drängte sich da die Frage auf, von wie vielen der rund 3.000 DemonstrantInnen dies als eine Möglichkeit betrachtet wurde, sich etwas nebenher dazuzuverdienen. Wie ein Zirkus bewegte sich der Schirinowski-Troß unter Blasmusik und dem eindringlichen Gehupe der eigenen Kleinbusse die feiertäglich verödete Twerskaja-Straße hinunter. Nur ein Vorsänger intonierte gut verständlich und ohne Pause und Ende: „Schirinowski, das ist Orrrdnung!“

Der Führer selbst trug seine quittengelbe Mao-Jacke, ein Markenzeichen Schirinowskis, der der bekannte russische Modeschöpfer Slawa Sajzew kühn einen Schillerkragen verpaßt hat. Schirinowskis Wolfsmiene strahlte, als sei ihm am Vorabend kein Tropfen Wodka, sondern nur die Milch der frommen Denkungsart die Kehle hinuntergeronnen. Entsprechend friedlich fiel die Botschaft aus, die der LDPR-Boß vor dem Bolschoi- Theater verkündete: „Wir sind die Partei der Ordnung und handeln ausschließlich im Rahmen der Verfassung.“ Von seinen innenpolitischen Konkurrenten beim Kampf um das Präsidentenamt mochte Schirinowski offenbar niemanden verprellen. Und so fand er denn auch für jeden ein gutes Wort.

Schnarrig wurde die Stimme des Führers erst, als er auf die wahren Feinde des russischen Volkes zu sprechen kam, die Zionisten und US-Intriganten: „Sie überschwemmen das Land mit allen möglichen Nahrungsmitteln, die hübsch verpackt, aber von schlechter Qualität sind. Das hat schon zu einem Anstieg der Krebserkrankungen geführt. Sie wollen uns ausrotten, wir brauchen ihre Waren nicht. Wir können selbst halb Europa ernähren.“

„Wenn diese Dummköpfe glauben, sie könnten über Nacht alles ändern, müssen sie erst einmal diese ganzen Feiertage abschaffen“, kommentierte ein junger Mann, der sich als „Arbeiter“ bezeichnete, am Straßenrand spöttisch den verfrühten „Siegeszug“ Schirinowskis. „Der ganze Flitter hier ist ein Hohn auf unser Land, das im Morast versinkt“, sprach's und trank seine Coladose in einem Zug leer. Barbara Kerneck