„Bin kein Monstrum“

■ Sensationsprozeß um Säurefaß-Morde: Heftiger Medienrummel zum Auftakt Von Kai von Appen

Heftiger Rummel gestern morgen vor dem Saal 390 des Hamburger Landgerichts. Knapp 100 Reporter, Fotografen, Kameraleute drängeln sich auf dem Gerichtsflur: Der Sensationsprozeß gegen den sogenannten „Säuremörder“ beginnt, und sinnigerweise hatte sich die Große Strafkammer 22 einen der kleinsten Sitzungssäle für diesen Mammutprozeß ausgesucht. Dem 46 Jahre alten Kürschnermeister Lutz Reinstrom wird – wie berichtet – der Mord an zwei Frauen zur Last gelegt.

„Ich bin kein Mörder und kein Monstrum. Ich habe keinen Menschen getötet“, so Reinstroms kurze Einlassung nach Verlesung der Anklage. Und: „Hier werden Fakten benutzt, um eine Phantasieanklage auf die Beine zu stellen.“ Er habe sich stets zu seiner „sadomasochistischen Neigung“ bekannt – die viele andere Menschen auch hätten; aber darum sei er noch kein Mörder. Scharf attacktiert er die Anklägerin Angelika Hauser: Durch Indiskretion und Aktenweitergabe sei er bereits in den Medien als „Monstrum“ vorverurteilt worden.

Die Anklage: Der 46jährige soll im Winter 1986 und im Herbst 1988 zwei Frauen gefoltert, vergewaltigt und ermordet, die Leichen dann zerstückelt, in einem mit Salzsäure gefüllten Faß verstaut und im Garten seines Hauses vergraben haben. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in einem Fall das Opfer gezwungen zu haben, mehrere Briefe an Verwandte und an die Polizei zu schreiben, es wolle ins Ausland fahren. Im anderen Fall soll das Opfer gezwungen worden sein, eine Nachricht an die Putzfrau zu verfassen, um einen ähnlichen Eindruck zu erwecken. Weiter soll der Angeklagte das Opfer genötigt haben, verschiedene Schecks vordatiert zu unterschreiben sowie die Geheimnummern der Scheckkarten preiszugeben; außerdem Vollmachten zum Verkauf von Auto und Haus auszustellen, mehrere Briefe und Ansichtskarten aus verschiedenen Ländern an Verwandte zu schreiben sowie ein Kündigungsschreiben an den Arbeitgeber zu unterzeichnen.

Um die Morde zu vertuschen und die Legende eines freiwilligen Abtauchens zu untermauern, soll Reinstrom in den folgenden Monaten die zuvor geschriebenen Ansichtskarten aus den USA, Chile und Brasilien an Verwandte in Deutschland geschickt haben. Auch die diversen Geldtransaktionen mit den unterschriebenen Vollmachten und Schecks konnten problemlos vom ihm abgewickelt werden – lediglich der Verkauf des 400.000 Mark teuren Hauses sei mißlungen, weil die erteilte Vollmacht nicht ausgereicht habe.

Auf die Spur des Angeklagten kamen die Fahnder erst 1992, nachdem er wegen Entführung und Erpressung weiterer Frauen vor Gericht landete. In dem Verfahren bemerkte ein Opfer am Rande der Zeugenvernehmung, daß sie zu ihrem Entsetzen im „Atombunker“ im Haus des 46jährigen Bilder von der Vergewaltigung einer seit vier Jahren verschwundenen Frau gesehen habe, die sie flüchtig kannte. Eine zufällig im Gerichtssaal anwesende Kripobeamtin wurde hellhörig und löste die polizeiliche Großaktion aus, in deren Verlauf die FahnderInnen die beiden Säurefaßleichen fanden.

Reinstrom, ein stämmiger Mann mit Spitzbart, hörte sich gestern die Anklage sichtlich ungeduldig an, verdrehte oft die Augen oder starrte an die Decke, schüttelte immer wieder den Kopf oder murmelte abfällige Bemerkungen über die Anklage vor sich hin. Dem Landgericht steht ein aufwendiger Indizienprozeß bevor: 186 Zeugen und fünf Sachverständige sind geladen – der Prozeß ist bis Juli 1996 terminiert.