Tucholsky spaltet Große Koalition

■ Heftige Debatte um „Ehrenschutz“ für Soldaten / SPD stimmt Grünen-Antrag zu

Eine Sternstunde der Opposition: Allzu häufig klappt es nicht, daß eine Oppositionsfraktion die Regierungsfraktionen auseinanderdividiert – gestern hat es geklappt. Als in der Bürgerschaft über den von der Bundesregierung geplanten und vom Freistaat Sachsen im Bundesrat beantragten besonderen Ehrenschutz für Soldaten debattiert wurde, da standen sich am Ende SPD und CDU unversöhnlich gegenüber. Mit anderen Worten: Kurt Tucholsky spaltet die Große Koalition. Nach einer phasenweise hitzigen Debatte stimmte fast die gesamte SPD mit einem Teil der AfB-Fraktion für einen Antrag der Grünen – und gegen den Koaliti-onspartner CDU. Entsprechend unterkühlt war das Koalitionsklima hernach. „Das war ein unfreundlicher Akt“, kommentierte der CDU-Fraktionschef Ronald-Mike Neumeyer. Dabei hatte gerade er die SPD in die grünen Arme getrieben.

Der Reihe nach: Der Grüne Hermann Kuhn hatte für seine Fraktion einen Antrag eingebracht. Der Senat solle aufgefordert werden, im Bundesrat gegen die Bundesregierung und gegen einen Antrag des Freistaates Sachsen zu stimmen. Bonn und Dresden wollen nämlich bekanntermaßen das Strafrecht verschärfen. Eine Reaktion auf die seit Jahren tobende Debatte um das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ und das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das das Zitat im Sinne der Meinungsfreiheit schützt. Nun soll ein besonderer „Ehrenschutz“ für Soldaten in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Wer „das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen Meinung herabwürdigt“ muß mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. Die sächsische Initiative: Beispielsweise das Tucholsky-Zitat an sich solle schon strafbar sein, das Gericht solle nicht mehr nachweisen müssen, daß der Zitierende auch die Bundeswehr gemeint hat.

Das hatte die Grünen zu dem Jokus veranlaßt, nun auch einen Ehrenschutz für PolitikerInnen, BankerInnen, JournalistInnen, LehrerInnen und Mütter einzufordern. Den Teil des Antrages zogen die Grünen zurück, übrig blieb allerdings der ernsthafte Teil: Ablehnung der Strafrechtsverschärfung. Und das brachte die Koalition schon im Vorfeld der Debatte ins Rotieren.

Die Ablehnung der CDU war von vornherein klar, doch als die SPD-Fraktion gestern morgen tagte, da wurde die Sympathie vieler SPD-Abgeordneter für den Grünen-Antrag deutlich. Heraus kam ein Kompromiß. Die SPD wollte sich aus Koalitionsräson enthalten. Das wiederum wollte die CDU nicht mitmachen. So kam es, daß der CDU-Fraktionschef vor der Debatte seine Fraktionskollegin Catrin Hannken beiseite nahm: sie müsse jetzt eine knackige Rede halten. Und das tat sie auch.

Zuvor hatte Hermann Kuhn den Grünen-Antrag begründet. Die Strafrechtsverschärfung sei völlig unnötig, wenn Bundeswehrsoldaten konkret beleidigt würden, dann seien sie geschützt wie andere BürgerInnen auch. „Aber es geht nicht um Fürsorge für Soldaten, es geht um den guten alten Wehrwillen.“ Und es gehe darum, das Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht mürbe zu machen. Beides könne nicht hingenommen werden. „Es gibt keinen Grund für eine Überhöhung der Bundeswehr.“ Ganz die Meinung des AfB-Redners Andreas Lojewski. Allerdings, so kündigte der an, werde die AfB-Fraktion nicht geschlossen abstimmen.

Dann aber kam die große Stunde der christdemokratischen Jungabgeordneten Hannken: Ein flammendes Bekenntnis zur Bundeswehr und reichlich Haue für die SPD. Es fehlte nur noch der Satz von den „vaterlandslosen Gesellen“. Ihr sei zu Ohren gekommen, daß es bei der SPD Sympathien für den Grünen-Antrag gebe: „Das zeigt das gespaltene Verhältnis der Sozialdemokratie zur Bundeswehr.“ Und: „Die Sozialdemokratie, die sich als Volkspartei bezeichnet, steht nicht zur Bundeswehr. Das ist für mich beschämend.“ Donnernder, verbissener Beifall von der CDU, Pfui- und Buhrufe von der SPD und da insbesondere aus der letzten Reihe, wo die sozialdemokratischen Ex-SenatorInnen um Klaus Wedemeier sitzen. Da war nichts mehr zu kitten. Prompt verließ Horst Isola die eigentlich abgesprochene Enthaltungs-Linie und hielt mutig dagegen, vor allem mit rechtspolitischen Argumenten. Die CDU habe nichts unversucht gelassen, das Verfassungsgericht unter Druck zu setzen. „Das weise ich mit Entschiedenheit zurück.“ Donnernder Applaus von SPD und Grünen, eisiges Schweigen bei der CDU. Am Ende: Jubel bei den Grünen. Ihr Antrag wurde mit fast allen Stimmen der SPD und einigen der AfB gegen eine Melange von CDU und einem Teil der AfB angenommen. J.G.