■ Soundcheck
: Tortoise / The Sea and Cake

Heute abend: Tortoise/The Sea and Cake. Seit einigen Jahren, in denen mehrere Male „das Ende der Geschichte“ ausgerufen und die Unmöglichkeit von Revolutionen verkündet wurde, ist die Kultur ein paar Male umgestürzt worden wie ein Kuchen. Die von Diedrich Diederichsen 1986 als Maßstäbe von Pop-Land-Lebendigkeit ausgezeichneten Begriffe „Mehr“ und „Weiter“, nicht nur im bürgerlichen Feuilleton seit über zwei Jahrzehnten gern als „abgeschaffte Lächerlichkeit“ runtergemacht, erhalten neue Bedeutungen. In Chicago arbeiten Bands, die sich eben darum kümmern: um neue Stile und deren Rezeption, um Staaten, die wie Taschenmesser zusammenklappen, und um Margarethe Schreinemakers vergleichbare TV-Originale, die allen vermeintlichen Möchtegern-Orientierungslosen in ihrer Sendung die Biographien von Alltagsgebeutelten präsentieren.

Tortoise (Foto) sind eine dieser Gruppen, eine Szene-Band, das heißt, die Mitglieder lassen möglichst viel („mehr“) durch sich hindurchlaufen, was die anderen so machen und hören. Weder schwammige Identitätssuche noch affektierte Ego-Vergrößerung treiben die Musiker an, wenn sie ihre Songs „Zwiebeln in Gummi“ o.ä. nennen. Vielmehr reihen Tortoise reihenweise ungehörte Modelle von Eleganz sowie selbstverständlicher Extrovertiertheit, Partikel von Analyse-Musik aneinander. Wenn es alte Systeme nicht mehr gibt, klingt es aus ihren Stücken, dann bedeutet dies, neue entdecken und ignorieren zu können. Anders gesagt: wir möchten Teil einer Pop-Kultur sein, wie wir sie gerade kennenzulernen begonnen haben.

Die zweite Band des Abends stürzt sich auf Stil wie der Orden verkaufende Konsul Weyer, auf Geschmack und Sound wie Cpt. Kirk &, auf Witz wie der Tagebuch-Fälscher Kujau und auf exzellentes Songwriting wie es zur Zeit wohl kaum jemand außer eben The Sea and Cake beherrscht.

Wegen schwerer Krankheit eines Kindes der Bandmitglieder sind Eleventh Dream Day leider verhindert. Kristof Schreuf

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