Eine Chance für Aids-Kranke

■ Zehn Jahre Hamburger Aidshilfe: Von KrisenmanagerInnen zu Koryphäen / Beim Leben mit dem Tod „alle in ein Boot gezogen“ Von Silke Mertins

Mit dem Kampf gegen die Vorstellungen, daß der Aids-Virus auf jeder Klobrille und Kaffeetasse lauere und außerdem bestens geeignet sei, Schwule auszurotten, hat alles einmal angefangen. Vor zehn Jahren gründete sich die Hamburger Aids-Beratungsstelle; gestern wurde rückgeblickt, gefeiert und der verlorenen FreundInnen gedacht.

„Wenn wir gewußt hätten, was in den folgenden Jahren auf uns zukam – ich weiß nicht, ob wir den Mut dazu gehabt hätten“, sagte die Ärztin Katharina Juhl, eine Frau der ersten Stunde. „Wir wußten ja selbst nicht, ob wir Recht haben.“ Die Öffentlichkeit schwankte zwischen Panik und Verharmlosung, selbst renommierte Wissenschaftler stellten „abenteuerliche Übertragungstheorien“ auf. „Es herrschte eine sehr aufgeheizte Atmosphäre, und wir waren unheimlich aufgeregt, ob wir das wohl packen würden.“ Sie haben es gepackt.

War es anfangs nur Krisenmanagement und der mühsame Aufbau der Präventionsarbeit, ist die Beratungsstelle heute „meinungsführend“ in Sachen Aids, lobte Hamburgs Aids-Pastor Rainer Jarchow in seiner Laudatio. Gerade für eine behördliche Beratungsstelle sei das bemerkenswert. Jarchow, vor zehn Jahren Aidsberater in der Kölner Gesundheitsbehörde, gestand, „neidvoll“ auf das geblickt zu haben, „was in Hamburg passierte“. Man habe es hier geschafft, „alle in ein Boot zu ziehen“. Das hörte Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) gern, auch wenn das Lob eigentlich ihrer Amtsvorgängerin Christine Maring gebührt.

Die HIV-Infektionsrate ist „nicht so dramatisch“, wie zu Beginn befürchtet, „aber kein Grund zur Entwarnung“, so Fischer-Menzel. Hoffentlich wird sie sich auch bei den kommenden Spar-Orgien daran erinnern. Denn noch immer kommen jährlich 200 bis 300 Neuinfektionen allein in Hamburg hinzu. Rund 7500 HIV-Infektionen sind gemeldet, seit 1983 sind 1300 Menschen an Aids erkrankt, 879 Patienten sind gestorben. „Zur Zeit leben 400 bis 500 an Aids erkrankte Menschen unter uns“, schätzt Fischer-Menzel.

„Aids wird sich zu einer chronischen Krankheit entwickeln, für die es zwar keine Heilung gibt, mit der man aber sehr lange leben kann“, sagt die Ärztin Juhl heute. Im Unterschied zu anderen chronischen Krankheiten sei die Solidarität und Unterstützung ungewöhnlich hoch. Aber auch die Ausgrenzung.

Ein leitender Mitarbeiter einer großen Krankenversicherung, erzählte Aids-Berater Dr. Jens Jarke, habe sich nicht auf Krankenschein behandeln lassen wollen, weil über das EDV-System alle Kollegen von seiner Infektion erfahren könnten. Lieber zahlt er die Behandlung selbst. Auch von der „Zwei-Klassen-Medizin“ ist zuweilen die Rede, weil die Krankenkassen zum Beispiel die „Virus-Last-Bestimmung“ nicht übernehmen.

Aber „insgesamt steht der Aidsbereich nicht schlecht da“, was Ressourcen betrifft. Die sozialwissenschaftliche Forschung sei sogar „ziemlich einmalig“.

Aidsberatungs-Stelle, Lübeckertordamm 5, Tel.: 2488-2488, Öffnungszeiten: Mo. 16 – 20 Uhr, Do. 14 – 18 Uhr Fr. 9 – 13 Uhr