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Dauerkandidat

■ Ein Studiendirektor hat ein Buch über seine Undercover-Tätigkeit in deutschen Gameshows verfaßt

Inflation im Showbusineß: Während der selige Wim Thoelke nur etwa dreißig KandidatInnen pro Jahr verschliß, bringt es allein das Sat.1-„Glücksrad“ jährlich auf gut 1.000 MitspielerInnen. Die 1.850 Folgen der inzwischen eingestellten RTL2-Show „Ruck Zuck“ führten sogar über 2.000 TeilnehmerInnen vor.

Längst sind keine moralisch einwandfreien Charaktereigenschaften wie z. B. gute Allgemeinbildung oder die Kenntnis der Liedanfänge deutscher Operetten mehr nötig, um in die Fänge von Elstner, Gottschalk & Co. zu geraten. Nein, unter Umständen reicht heute schon ein Fehler beim Ausfüllen des Klassenlotteriescheins, um sich vor der Fernsehöffentlichkeit vollständig zu blamieren.

Das kann sogar ein Hobby sein: Jürgen Hipp ist eigentlich Studiendirektor in der ReferendarInnenausbildung im hessischen Büdingen und dort für Mediendidaktik zuständig. Als Undercover-Agent in Sachen deutscher Fernsehunterhaltung hat er sich in den letzten Jahren fünfzehn Mal als Kandidat in acht verschiedene Gameshows eingeschleust – zuletzt am 16. Mai 96 im „Großen Los“ mit Dieter Thomas Heck.

Frucht seiner Bemühungen ist das kürzlich erschienene Protokoll seiner Begegnungen der Dritten Art, den Gameshow-MacherInnen und den ihnen ausgelieferten KandidatInnen. Den ganzen Leidensweg können wir auf diese Weise nachverfolgen, von der Bewerbung über den Kandidatentest, die Aufzeichnung, bis zum Erhalt der Preise und ihrem weiteren Verbleib. Angereichert wird Hipps Passionsfrucht durch die Dokumentation des Schriftverkehrs und der Verträge mit den Produzenten.

Daneben bietet Hipp Psychogramme der einzelnen beteiligten Typen, die insbesondere bei den Moderatoren als lebende oder fast noch lebende Personen unschwer zu entschlüsseln sind. Bei seinen Beobachtungen bleibt er stets dem erlernten Studiendirektorduktus verhaftet:

Seine Fragen stellt Herr E. in der Regel präzise, und auch in im Umgang mit Fremdwörtern ist seine Fehlerquote deutlich niedriger als bei anderen seiner Zunft ... Die Entscheidung über die Richtigkeit (der Antworten) überläßt er schon mal dem Kandidaten, den er für den fähigsten hält.

Schließlich hält er auch noch einen Praxisteil parat, anhand dessen die LeserIn ihre eigene Gameshow-Tauglichkeit erproben kann. Nutzwert haben Hipps Tips auf jeden Fall: Wer sie nur richtig zu lesen weiß, wird lebenslang darum herum kommen, an Veranstaltungen dieser Art je teilnehmen zu müssen. Micha Haarkötter

„Hinter den Kulissen – TV-Gameshows und ihre Kandidaten“ von Jürgen Hipp, Rowohlt-Verlag, 12.90 DM

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