: Arafat-Kritiker bleibt in Haft
■ Ein Zeitungsinterview und ein Brief eines Bürgerrechtlers erregen den Unmut des palästinensischen Präsidenten
Tel Aviv (taz) – Ungeachtet internationaler Proteste bleibt Eyad Sarraj, Psychiater und Leiter der Unabhängigen palästinensischen Bürgerrechtskommission in Gaza, weiter im Gefängnis. Ein palästinensisches Militärgericht entschied am Donnerstag unter Ausschluß der Öffentlichkeit und ohne Anwesenheit eines Anwalts, Sarrajs Haft um 15 Tage zu verlängern. Sarraj, der auch der Direktor des international bekannten Mental Health Centers in Gaza-Stadt ist, war am 10. Juni zum dritten Mal binnen eines halben Jahres festgenommen worden. Bereits im Mai verbrachte er neun Tage im Gefängnis, nachdem er sich in einem Interview mit der New York Times kritisch über die Lage in den Autonomiegebieten unter der palästinensischen Selbstverwaltungsbehörde geäußert hatte. Proteste aus der ganzen Welt erwirkten dann seine Freilassung.
Vor dem Militärgericht wurde Sarraj am Donnerstag beschuldigt, einen Polizeioffizier geschlagen zu haben. Der Offizier erschien mit einer verbundenen Faust. Sarraj wies die Beschuldigung zurück und erklärte, daß nicht er der Schläger gewesen sei, sondern daß er von der Polizei und den Beamten, die das Verhör führten, geprügelt worden sei.
Zwei Stunden später wurde Sarraj vor ein palästinensisches Zivilgericht gebracht, wo ihm Drogenbesitz vorgeworfen wurde. Sarraj stritt dies ab. Seine Verteidiger Raji Sourani und Khader Shkeirat machten die Sicherheitsbehörden für eine illegale Durchsuchung seines Büros verantwortlich, bei der – mindestens 12 Stunden nach der Verhaftung von Sarraj – angeblich eine kleine Menge Haschisch (weniger als 100 Gramm) gefunden wurde. Nach Ansicht der Verteidiger hat die Polizei den mit Verspätung „entdeckten“ Corpus delicti selbst eingeschleust.
Das Argument der Verteidiger, daß Sarrajs Haft gesetzeswidrig sei, weil ihr Mandant nicht innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme vor einen Richter gebracht wurde, wies der Richter zwar zurück. Er entließ Sarraj jedoch gegen Kaution aus der Haft. Aufgrund der vorherigen Entscheidung des Militärgerichts wurde er jedoch gleich wieder ins Gefängnis eingeliefert.
Nach Ansicht der Verteidiger hängt die dritte Festnahme Sarrajs mit einem Brief zusammen, den dieser an Präsident Jassir Arafat gerichtet haben soll. In dem Schreiben wird Arafat aufgefordert, eine Erklärung gegenüber CNN richtigzustellen. In dem CNN-Interview hatte Arafat behauptet, Sarraj sei das letzte Mal nur aus der Haft entlassen worden, weil er sich für sein Interview mit der New York Times entschuldigt habe. In seinem Brief an Arafat betont Sarraj, daß er sich nur für eine eventuelle Beleidigung Arafats entschuldigt habe, aber weiterhin zu den Tatsachen stehe, die er der NYT gegenüber erwähnte.
Darüber hinaus weist Sarraj in dem Schreiben darauf hin, daß er sich erst dann an die Medien gewandt habe, nachdem alle seine Aufforderungen an die Behörden, Fällen von Korruption, Vetternwirtschaft und Folter in den Gefängnissen nachzugehen, erfolglos geblieben seien. „Das Volk können wir nicht hinters Licht führen: Es weiß über die Wahrheit Bescheid“, heißt es in dem Brief an Arafat, den die israelische Tageszeitung Jerusalem Post auszugsweise veröffentlichte. „Die Fortsetzung der Verleumdungskampagne zwingt mich, zum Obersten Gericht zu gehe und mich an die öffentliche Meinung zu wenden.“
Gleichzeitig drückt Sarraj die Hoffnung aus, daß jetzt ein neues Kapitel aufgeschlagen werden kann: „Wir sind in der gleichen palästinensischen Heimat und müssen die Würde des Individuums schützen, damit die Menschen furchtlos, ohne Bedrohung und ohne Erniedrigungen zu erleiden leben können.“
Mittlerweile haben palästinensische Menschenrechtsorganisationen an die Öffentlichkeit appelliert, Protesttelegramme an die Regierungsbehörde in Gaza und an Arafat persönlich zu schicken. Auch israelische Menschenrechtsgruppen sind inzwischen aktiv geworden. Amos Wollin
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