Drei Tunnel und zwei Bürgerbegehren

Am Sonntag entscheiden die Münchner, ob ihre ständig verstopfte Hauptstadt entweder drei neue Tunnel oder Geld für Kindergärten und Altersheime bekommt. Die Plakatschlacht tobt  ■ Aus München Felix Berth

Ein Autofahrer, der in München im Stau steht, kann sich zur Zeit nicht über mangelnde Lektüre beklagen. Entlang den Hauptstraßen sieht er aberhundert Plakate, die ihm erklären, wie man den Stau abschaffen könnte. So liest er die nüchterne Formel von CSU, FDP, ADAC und anderen Verbänden: „Drei Tunnels braucht der Ring.“ Oder er sieht die poetische Variante gleichen Inhalts: „Erst einer, dann zwei, dann drei – dann ist der Stau vorbei.“

Natürlich stammt diese Idee der CSU und ihrer Anhänger aus den sechziger Jahren: Man verbanne einen Teil der Autos in Tunnelröhren, wo sie ungebremst und abgekapselt durchrauschen können. Doch statt wie früher damit das Konzept einer „autogerechte Stadt“ zu propagieren, werben die konservativen Tunnelfans von heute, mit von der Ökobewegung gelernten Argumenten. Tunnels lassen an der Oberfläche „Parks“ entstehen, verringern die Abgase und mindern den Lärm. Außerdem würden Tunnels am Mittleren Ring, der rund um die Innenstadt führt, Unfälle reduzieren und den Benzinverbrauch drücken.

Dieses „umweltschonende“ Konzept verfolgte die CSU schon lange, fand aber im rot-grün dominierten Stadtrat nach 1990 keine Mehrheit. Doch seit einigen Monaten setzt die CSU auf ein Bürgerbegehren, das anfangs erfolgversprechend erschien: Nach wenigen Wochen hatten 70.000 Münchner die Forderung nach drei Tunnels unterschrieben. Die Stadtverwaltung mußte ein Bürgerbegehren einleiten, über das morgen abgestimmt wird.

Die Gegenseite hatte dem schlichten und klaren Konzept anfangs wenig entgegenzusetzen. Zunächst waren die Politiker der rot- grünen Koalition unsicher, wie man auf das CSU-Begehren reagieren sollte: Eine Nein-Strategie und darauf setzen, daß die Tunnels von einer Mehrheit abgelehnt werden? Oder doch was Konstruktives? Nach langen Diskussionen einigte man sich endlich auf ein „besseres Bürgerbegehren“ gegen die drei Tunnels. Das damit eingesparte Geld soll die Stadt in den öffentlichen Verkehr, in Kindergärten, Schulen und Altenheime investieren. Diese Strategie hatte den Nachteil, daß sie, als sie geboren wurde, kompliziert und schwerfällig war. Eine lange Liste mit wünschenswerten Projekten aus Sozial-, Kultur- und Verkehrspolitik mußte erst zusammengestellt werden, die im Vergleich zum eindeutigen CSU-Vorschlag verwirrend wirkte. Doch immerhin, diese Strategie verhinderte das Image der „destruktiven Neinsagers“.

Und es ist den Tunnelgegnern allmählich gelungen, ein Thema in den Vordergrund zu rücken, das der CSU unangenehm ist: die Kosten des Projekts. Neuere Schätzungen kommen auf eine Summe von etwa zwei Milliarden Mark. Genüßlich rechnen die rot-grünen Politiker und die Mitarbeiter der Kampagne jetzt vor, wie viele positive Projekte mit diesen Milliarden finanzierbar sind – und was alles nicht mehr möglich wäre, wenn die Tunnels gebaut werden.

Die CSU müht sich deshalb, den Eindruck von der Geldverschwendung zu korrigieren. Zunächst versprach Ministerpräsident Edmund Stoiber für den ersten Tunnel einen Zuschuß des Freistaats von 250 Millionen Mark. Gestützt darauf rechnete die CSU vor, daß der Tunnel pro Bürger und Monat deshalb „nur zwei Mark“ kosten würde. Der Schönheitsfehler: Sie verschwieg, daß der erste Tunnel der kürzeste und billigste wäre, daß die Kosten anfangs zu niedrig kalkuliert waren und daß der Freistaat den Millionenzuschuß auch aus Steuern finanzieren muß.

Das Kostenargument ist inzwischen zum zentralen Punkt der öffentlichen Diskussion geworden – was sogar die Augsburger Firma Walter Bau dann veranlaßte, einen „Billigtunnel“ vorzuschlagen: Wenn die Tunnels nicht finanzierbar seien, könne man auch einen schmaleren „Spartunnel“ bauen, der statt 850 Millionen „nur“ 100 Millionen kosten würde, erklärte ein Vorständler – und empfahl seine Firma für das Projekt.

Wie morgen das Bürgerbegehren ausgeht, wagt in München keiner mehr zu prognostizieren. Eine Umfrage des Instituts Socialdata ergab im März, daß die Tunnelbefürworter die Nase vorn haben. Doch gleichzeitig wollte die Mehrheit der Befragten den öffentlichen Verkehr und soziale Einrichtungen stärker gefördert sehen als den Straßenbau. Denkbar also, daß beide Bürgerbegehren am Sonntag eine Mehrheit bekommen – weshalb die Stadtverwaltung vorsichtshalber auch eine Stichfrage gestellt hat, die dann den Ausschlag geben soll.

Aktionstag ohne Auto. Sonntag, 14 Uhr Fahrraddemo ab Königsplatz