Sieben Stunden nach Bonn, sieben zurück

■ Vom zähen Versuch der IG Metall, Demonstrationsteilnehmer zu werben

Eigentlich würde Peter Schulz heute ja auch gern ein Transparent im Bonner Hofgarten hochhalten. So aber wird er die Glotze anschalten und den Kollegen aus der Ferne zugucken. Daß der Arbeiter von Mercedes Benz aus Berlin nicht dabei ist, liegt am Verkehrsmittel. „Wenn 'se mehr Züge gekriegt hätten, wäre ich mitgekommen. Aber sieben Stunden im engen Bus nach Bonn schaukeln und sieben zurück, das ist meine Sache nicht.“ Müssen die Kollegen von der IG Metall doch verstehen.

Die sitzen in Baracke No. 7 und grübeln über die Frage: Warum kriegen wir die Leute nicht mehr hoch? „Es ist schon ein ordentlicher Streß, am Samstag um halb zwei morgens loszufahren und am Sonntag gegen zwei am Bahnhof Zoo wieder aus dem Bus zu steigen. Ohne Übernachtung.“ Jörg Dorndorf, Mitglied im Vertrauenskörper der IG Metall, zeigt Mitgefühl. Es ist ja auch einiges schiefgelaufen bei der Organisation der Demo. So können die 75 Sonderzüge nur auf zwei Bahngleisen in Bonn abgefertigt werden. Das schreckte bereits im Vorfeld ab. Eine Woche lang ist Dorndorf durch den Betrieb gewetzt und hat versucht, 100 Busfahrkarten loszuschlagen. Mit mäßigem Erfolg. Jetzt zählt er immer noch 30 freie Plätze. „Keine Sorge, die werd' ich bestimmt los.“ Vielleicht.

Die Belegschaft von Mercedes Benz gilt als vorbildlich organisiert, 80 Prozent der 2.700 Beschäftigten stehen in den Mitgliederlisten der IG Metall. Und die Leute haben die Wut im Bauch.

Nicht erst seit einigen Wochen, seitdem das Sparpaket der Regierung auf dem Tisch liegt. „Seit zwei, drei Jahren werden bei Mercedes die Daumenschrauben angezogen“, sagt Vertrauensmann Bake Emeklier. Arbeitsgruppen würden unter Druck gesetzt, die Kosten für die Maschinenstunden um ein Drittel zu senken. Gelingt dies nicht, werde die Produktion kurzerhand außer Haus gegeben. Fiese Sprüche wie „Geh doch woanders hin, wenn's dir nicht paßt, am Samstag eine Sonderschicht zu fahren“, seien auch an der Tagesordnung. Jetzt aber reicht es. Die Absicht, den Lohn zu kürzen, wenn er krank wird, empfindet Emeklier als Frontalangriff.

Ähnlich wie vor zehn Jahren, als der Paragraph 116 des Arbeitsförderungsgesetzes geändert wurde. Da pilgerten auch Hunderttausende in den Hofgarten und protestierten gegen die Neufassung des Streikparagraphen. Damals war Bake Emeklier mit von der Partie.

Vor zehn Jahren haben sie die Sache verloren. Das soll ihnen bei der derzeitigen Auseinandersetzung nicht mehr passieren. Die Leute dürften sich nicht mehr sagen: Die in Bonn machen sowieso, was sie wollen.

Wenn aber heute früh die Busse über die Autobahnen kriechen und die Züge auf ihre Abfertigung warten, wird Bake Emeklier fehlen. Er hat sich mit seinem Enkelkind verabredet. Auch andere IG-Metall-Funktionäre von Mercedes Benz sind unpäßlich. Einer macht den Segelschein, einer betreut seine Tochter, eine hat Schriftkram für die Gewerkschaft aufzuholen, ein anderer packt die Urlaubskoffer. Aber beim nächsten Mal sind alle wieder dabei. Bestimmt. Annette Rogalla