Gefühlswelten vor Probebühne

■ Premiere des neuen Thalia Treffpunkt-Stückes „Ich“

Die Öffnung der Foyertüren löste einen kleinen Tumult aus, Jugendliche ließen ihre Rucksäcke fallen. „Treten Sie nicht auf den roten Teppich!“ herrschten sie die Zuschauer an und es wurde klar: Jene vermeintlichen 13- bis 18-jährigen Zuschauer bildeten das Thalia Treffpunkt Ensemble. Belustigt verwirrt befolgte die Menge die Anweisung der 2 Jungen und 10 Mädchen.

Unter der Leitung Herbert Enges ist das Projekt Ich so angelegt, daß es manchmal kryptisch zwischen Phantasie und Realität oder Alltag und Inszenierung hin und her schwenkt. Langsam kleideten sich die jungen Schauspieler auf dem roten Teppich um, vergaßen spielerisch ihren Text, puzzelten aber weiter am Thema der eigenen Weltsicht zwischen Glück, Versuchung und Anerkennung. Langsam nur begriff der Betrachter dieses Improvisationstheater als surreale oder absurde Aneinanderreihung persönlich ausgesuchter Textversatzstücke. Und plötzlich ergießt sich ein buntes Potpourri aus Zitaten klassischer Stücke von Faust, über Romeo und Julia bis Die gelehrten Frauen und Maria Stuart in das Ohr. Auch das ist Absicht. Das Stück braucht die Phantasie und den Willen der Betrachter, der Einladung der Akteure in eine allzu bekannte Welt der Ichs zu folgen. Vorbei an Jandls Ottos Mops proklamierenden Vorhängen ging die szenische Führung durch das gesamte Theater. Vom Klo bis zur Probebühne fand das Dutzend immer wieder Raum zur theatralischen Aneignung. Unter dem einstigen Arbeitstitel „Ausbrüche“ versammelten sich Geschichten über Abschiede und Niederlagen ebenso wie die für ein Jugendtheaterprojekt einmal nicht pädagogisch umgesetzte Zeigefinger-Formel einer euphorischen Vitalität.

Den roten Faden ergaben die Ich-Geschichten vierer Mädchen über erdrückende Erfahrungen mit Eltern oder Lehrern, die meinen, heranwachsende Weltprobierende lenken zu müssen. Immer im Werden, im Prozeß entstand neben schön gespielten und erzählten Geschichten voller Inbrunst und Glaubhaftigkeit auch ein lebendiges Kuddelmuddel unausgegorener Gefühle und Gedanken. Charmant und ideenreich war die Umsetzung an den verschiedensten Ecken und Flächen im Thalia.

Britt-Kristin Feldmann

Montag, 17 Uhr im Thalia Theater