Wieder Inga, wieder Gottfried

■ Am Wochenende wurden 25 Jahre Fabrik gefeiert: vom Aktionsforum zur Musikmeile

Ich war gerade mal sechs, als meine Eltern, damals 30, mich zum Sonntagsfrühschoppen mit in die Fabrik nahmen. Ich liebte diese bunten, zylindrischen Lollis, deren Stil immer eine flache Plastikfigur aus einem Märchen darstellte. Überall Holzbalken und komische Stahlgebilde, die aussahen, wie Steuerräder. Damals war die Fabrik ein riesiger Abenteuerplatz für mich. Damals wie heute kann ich dem Dixieland- oder Sonntags-Gejazze nur wenig abgewinnen. Damals wie heute gehörte Gottfried Böttger zur Musikszene. Damals wie heute spielt er seinen stadtbekannten Jazz.

Einen Blick zurück, aber auch in die Gegenwart gab es für Nostalgiker am Samstagabend. Die Fabrik hat sich zwar immer bemüht, musikalische Nischen zu füllen, aber auch einen auf konservativ-rückblickend gemacht. Als Abschluß des ersten Tages bot die Hamburger Nacht einiges an musikalischer Virtuosität. Stockschwul, mit angewinkeltem Spielbein und scharfroten Lackschuhen stand Neil Landon seinen Sänger, um der Fabrik traditionsgemäß richtig einzuheizen. Joja Wendt flog über die Tasten des Klaviers und der typische, stickige Dunst vor dunklen Holzbohlen wurde immer dicker. Zu Böttgers Session Band swingte die aufgeschickte Menge in Anzug und weißer Bluse. Irgendwie untypisch. Aus meiner Kinderzeit erinnerte ich mich eher an langhaarige Hippies. Aber auch die werden älter - und arrivierter. Wahrscheinlich kommen jene nicht mehr, um zu entdecken, sondern um das, was sie kennen, wiederzusehen. Zum einzigen Male am Samstag gerieten die Gratulanten immerhin in frenetische Tanzereien als Bridget Waul kurz vor Mitternacht den schwarzen Blues an ihrem gigantischen Gaumen hochgurgeln ließ.

Zum Auftakt des anderthalbtägigen Festes zu Ehren der Trutzburg in der Barnerstraße, auf dem übrigens Festtagsreden fehlten, reizte wieder einmal Inga Rumpf mit der NDRBigband ihre Stimmbänder. Mit ihren Interpretationen von „Foxy Lady“ und „Jumpin' Jack Flash“ traf sie genau den Nerv des Ottensener Publikums. Es wurde gar gegrölt. Aber so richtig wollte die hitzige Stimmung nachmittags dennoch nicht von den Bühnen schwappen. Egal ob Funk, Soul, Shanties oder Bigband, die Ottensener scheinen sonst eine eher zurückhaltende, der hippiesken Ekstase abgeschworene Zuschauerschaft zu sein. Nachmittags schoben sie gemächlich ihre Kinder in Wagen über das Kopfsteinpflaster oder saßen gedämpft gestimmt und „Frozen Marguerita“ trinkend in der Sonne. Vielleicht verhindert wohlgemeinte Intellektualität spontane Lustvöllerei.

Dem hehren und identitätstiftenden Anspruch der Fabrik, ein Kommunikationszentrum zu sein, gereichten die zahlreichen vor Kneipen und Cafes aufgestellten Tischkreise zur Genüge. Allerdings entgegen des Konzeptes mit Konsumzwang und erhöhten Preisen. Statt normalerweise 5 Mark zahlte man nun 10 für einen Gemüsehaufen.

Was das Straßenfest am Wochenende zeigte, war äußerst musiklastig und stützte den Eindruck, daß sich aus dem ausgerufenen Kulturtempel mit Aktionsforum ein Musikveranstalter entwickelte. Die Möglichkeit aktiv zu werden, hatten nur die Kinder und Jugendlichen. Töpfern und basteln oder Geschicklichkeitsspiele und Streetball und Fußball wirkten schweißtreibend. Kleinkunst und Straßentheater oder Pantomime, Clownereien oder Jongleure waren nicht zu bestaunen. Lieber ließ sich die Fabrik von DAS und N3 sponsern, die dankbar großflächige Werbelogos in die Fabrik hängten und auch ihre hauseigenen Musiker mitbrachten. Also: Auf die nächsten 25 Jahre?

Britt-Kristin Feldmann