Jelzin steht bei Exilrussen hoch im Kurs

■ Die russische Botschaft diente gestern als Wahllokal. Wähler standen Schlange

An repräsentativer Stelle prangt an der roten Außenmauer noch das Leninrelief. In der Berliner Außenstelle der russischen Botschaft hat der Kommunismus allerdings nicht gerade Konjunktur. Am Sonntag diente sie als Wahllokal für 8.000 Russen, die in Berlin, Brandenburg und Sachsen- Anhalt leben. Ob die Wähler nun in schwarzer Existentialistenkluft, im enganliegenden Tigerkostüm oder mit Schlips und Kragen daherkamen, die meisten strahlten und kürten Jelzin zum aussichtsreichsten Kandidaten.

„Wir wählen alle Schirinowski“, witzelt Igor Poleanski, Chefredakteur der Kultur- und Politikzeitung Spiegel der Geheimnisse, der gerade seine Stimme für Jelzin abgegeben hat. Er hätte eigentlich lieber den „besseren Demokraten“ Grigori Jawlinski gewählt, aber der habe leider keine Chance. Besonders die Russen, die im Ausland lebten, hätten Angst vor dem Kommunismus. Darum müsse der Kandidat der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, unbedingt verhindert werden, erklärt Poleanski. Entscheidend allerdings sei, wie „die Leute im tiefen Rußland“ wählen.

Davon ist auch eine junge Moskauerin überzeugt, die gerade geschäftlich in Berlin ist. In Moskau sei deutlich Jelzin der Favorit, aber auf dem Land gebe es noch viele Kommunisten. Nach dem russischen Wahlgesetz gibt es keine Briefwahlen, dafür dürfen alle, die auf Reisen sind, nach einem komplizierten Registrierverfahren ihre Stimme auch andernorts abgeben. Je nachdem ob sie Kurzbesucher sind oder in der Bundesrepublik leben, müssen sie sich in unterschiedliche Schlangen einreihen.

Mehr als 20 Wahlhelfer arbeiten fieberhaft, doch die Schlangen scheinen nicht kürzer zu werden. Etwas abseits thront an einem Schreibtisch der Vorsitzende der Wahlkommission und verfolgt das Geschehen durch dicke Brillengläser. Die Wahlbeteiligung liege mit 1.600 um 14 Uhr schon ungewöhnlich hoch. Trotz der vielen Wahlhelfer habe es um die Mittagszeit Engpässe und Durcheinander gegeben.

Verwirrt ist auch Andrej Wahltuch, der zum erstenmal wählen darf: „Eigentlich weiß ich nicht, wie ich wählen soll. Hier gab es keine Wahlkampagne, ich kenne die Kandidaten nicht, aber ich tippe mal auf Jelzin.“ Daß er Jelzin sicherlich nicht wählen werde, betont ein junger Mann im dunklen Anzug, der in Berlin eine Wachschutzfirma besitzt. Wen er wähle, sei seine „persönliche Angelegenheit“, sagt er schroff. Der Pharmaziestudent Dimitri Nowikow hingegen verzichtet darauf, für sein Kreuzchen in der Wahlkabine zu verschwinden. Er drückt seinen Wahlbogen an die Stellwand, an der die Biographien der Kandidaten ausgehängt sind, und macht ein deutliches Kreuz hinter den Namen Jelzin. Stephanie von Oppen