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Commitments und Apartments Von Ralf Sotscheck

Gestern war es wieder soweit: Die Joyce-Irren sind über Dublin hereingebrochen. Von morgens bis abends hasteten sie durch die Stadt, immer schön auf Leopold Blooms Spuren, wie der Romanheld in einer Hand ein Gorgonzola-Sandwich, in der anderen ein Glas Burgunder. Bloom hatte, jedenfalls in James Joyce‘ Phantasie, die achtzehn Meilen lange Strecke am 16. Juni 1904 zurückgelegt. Joyce hat das Datum für seinen „Ulysses“ deshalb gewählt, weil er an jenem Tag zum ersten Mal mit Nora Barnacle, seiner späteren Frau, verabredet war. 1924 schrieb er in sein Notizbuch: „Wird sich jemand dieses Datums erinnern?“ Inzwischen wird der „Bloomsday“ in 60 Ländern gefeiert.

Das behauptet jedenfalls das James Joyce Centre, die neueste Einrichtung zu Ehren des Schriftstellers, der seinerzeit vor der Engstirnigkeit Irlands ins Ausland flüchtete. Damals war man ganz froh, den „heidnischen Dichter“ loszuwerden. Heute kann man von Joyce gut leben, vor allem, wenn man mit ihm irgendwie verwandt ist. Ken Monaghan, der Neffe, ist einer der Direktoren des Joyce Centre und paßt auf, daß die Onkelindustrie in Familienhand bleibt. Der andere Direktor ist Bob Joyce, der zwar den richtigen Nachnamen hat, aber nur der Enkel von Joyce‘ Bruder ist – also um einen Neffengrad hinter Monaghan rangiert.

Das James Joyce Centre hat in diesem Jahr den „Bloomsday“ kurzerhand auf eine Woche ausgedehnt, um die Joyceaner aus aller Welt ausgiebiger melken zu können. Das Centre ist in einem georgianischen Haus im Norden Dublins untergebracht. Es gehörte früher Denis Maginni, der ein paar Mal im „Ulysses“ vorkommt. Die berühmte Tür aus der Eccles Street Nummer sieben, wo Bloom zum längsten Tag der Weltliteratur aufbrach, hat man sich ebenfalls unter den Nagel gerissen. Das Originalhaus wurde 1967 abgerissen.

Auch sonst geht man mit dem Joyceschen Erbe nicht besonders pfleglich um, wenn nichts dabei herausspringt. Ushers Island Nummer 15, wo Joyce‘ Kurzgeschichte „Die Toten“ spielt und John Huston seinen letzten Film gedreht hat, haben die Stadtväter zur Ruine verkommen lassen. Ursprünglich hatte die Stadtverwaltung das Haus einer Baufirma übergeben, die nebenan lukrative Wohnungen bauen durfte und als Gegenleistung das Totenhaus restaurieren sollte. Kaum waren die Wohnungen fertig, da fand das Bauunternehmen die Abmachung illegal. Statt dessen will man auf der anderen Seite der Liffey am Smithfield-Markt – dort wurden die „Commitments“ gedreht – 200 Apartments bauen.

Apartments sollen auch in der Millbourne Avenue entstehen. Früher hieß die Straße Holywell Villas, und 1894 zog Familie Joyce hier ein. Der kleine James verlebte in dem Haus ein paar Kindheitsjahre und setzte ihm im „Portrait des Künstlers als junger Mann“ ein Denkmal. Ken Monaghan wettert, es sei das Lieblingshaus der Joyces gewesen. In Frankreich habe man Häuser zu Pilgerstätten gemacht, in denen James und Nora gerade mal eine Woche gewohnt hätten, so der Berufsneffe. Da müßte man in Dublin jedes zweite Haus in eine Gedenkstätte umwandeln, denn Joyce kam viel herum in der Stadt. Aber die Franzosen haben ja nicht so viele Schriftsteller pro Quadratmeter wie die Iren.

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