Besiegt von einem Schinken

■ Zwei versprengte Engländer waren die großen Triumphatoren beim schottisch-irischen Fußball-Nachmittag in Comiskey's Pub

Dublin (taz) – Man müsse das doch auch mal von der positiven Seite betrachten, meinte Stuarts Frau am Samstag: Wenigstens werde Stuart nach dem Spiel nicht „Flower of Scotland“ singen. Zu dem Zeitpunkt war die „historische Begegnung“ zwischen England und Schottland längst entschieden, und Stuart hätte gerne vergessen, daß er Schotte ist. Doch die beiden Engländer in Comiskey's Pub am Dubliner Broadstone erinnerten ihn ständig daran. Kein Wunder, hatte Stuart doch die Klappe vorher ziemlich weit aufgerissen.

Zu Spielbeginn fühlte er sich recht sicher, da die Sympathien in der vollbesetzten Kneipe eindeutig verteilt waren: Die bei der EM nicht vertretenen Iren hatten statt dessen die schottische Mannschaft adoptiert. Allerdings hätten sie auch die äußere Mongolei adoptiert, wenn die gegen die Engländer gespielt hätte. Beim Anpfiff war die Stimmung vor dem Kneipenfernseher großartig, alle hatten sich mit ausreichend Getränken versorgt, und der blondgefärbte Paul Gascoigne, Auslöser für eine neue Welle von Blondinenwitzen, war über den Ball gefallen und lag wie ein Maikäfer auf dem Rasen. Noch ahnte niemand, daß es der Auftakt zur erbärmlichsten ersten Halbzeit seit der anglo-schottischen Union von 1707 war.

Plötzlich war das Bild weg: Der Barkeeper behauptete, der Empfang des irischen Senders sei zu schlecht, und er suche jetzt BBC. Im Pub war der Teufel los. „Nieder mit der Feindpropaganda“, schrie Stuart, konnte aber nicht bestreiten, daß das Bild beim englischen Sender besser war. „Meine Güte, ist der häßlich“, meinte Stuarts Frau über Maikäfer Gascoigne, „der liegt ja da wie ein gekochter Schinken.“ Irgendwann ging die verschnarchte erste Halbzeit fast unbemerkt zu Ende.

Bei Wiederanpfiff ahnte Stuart das Unglück voraus. „Wenn Goram mal bloß keinen Mist baut“, orakelte er, als der Torwart auch schon im Strafraum herumirrte und Englands Mittelstürmer Shearer den Weg zum 1:0 freimachte. Jetzt outeten sich die beiden in der Ecke von Comiskey's Pub als Engländer. „Ihr Schotten freßt zu viele frittierte Marsriegel“, hänselten sie Stuart, der in Starre verfallen war. Eine Viertelstunde vor Schluß war er plötzlich wieder quicklebendig: Es gab Elfmeter für die Schotten. Stuart war drauf und dran, eine Lokalrunde zu bestellen, als McAllister den Strafstoß kläglich versiebte. Stuart schnellte wie eine Sprungfeder aus seinem Sitz und verschwand auf der Toilette.

So ersparte er sich das zweite englische Tor, das ausgerechnet Gascoigne erzielte. Aber dem Spott entging Stuart nicht. „Der Kochschinken hat euch gerade ein Tor reingezwirbelt“, riefen die Engländer hämisch im Chor, „aber um euch fertigzumachen, reicht auch ein Wiener Würstchen.“ Die Iren aber hatten längst die Holländer adoptiert, die morgen gegen England spielen. Ralf Sotscheck