: Ami-Hure? Schönes Thema!
Wenn Talkmaster Harald Schmidt nachts auf Sendung geht, haben seine Gagschreiber ihren 12-Stunden-Tag schon hinter sich – und die Stimme ihres Herrn noch im Ohr: Ein Witz kennt keine Moral ■ Von Hans-Hermann Kotte
Die hochschwangere Verwaltungsbeamtin Sigrid Falke steht zu Hause in Berlin am Bügelbrett. Sie albert mit ihrem zweijährigen Sohn Leon herum, zwischendurch spricht sie in ein Diktiergerät. Zu ihren Füßen liegt die Bild-Zeitung.
Um die gleiche Zeit sitzt der Journalist Ralf Kabelka an diesem Freitag vormittag auf einem unbequemen Schemel im Postamt von Westerland/Sylt. Obwohl er Urlaub hat, hackt er hektisch auf einer Reiseschreibmaschine herum. Gleich wird er ein Fax nach Köln abschicken.
Falke und Kabelka gehören zu den 25 freien Gag-Autoren (darunter fünf Frauen), die regelmäßig für die Harald-Schmidt-Show von Sat.1 arbeiten. Die beiden kennen sich nicht, denken aber Tag für Tag über die gleichen Themen nach. Über Franz Beckenbauers neue Rolle als Werbebotschafter für Warsteiner zum Beispiel. Oder das Comeback von Abba. „Für mich war die Band nie tot“, wird Schmidt am Abend im Fernsehen sagen, „ich hatte immer meine drei Dosen Abba-Thunfisch zu Hause im Regal“. Das ist nicht der Abba- Gag von Sigrid Falke. Und auch ihre anderen 30 Witze haben es diesmal nicht geschafft.
Die Witzthemen stammen zumeist aus der Boulevardpresse und werden den freien Gag-Schreibern telefonisch durchgegeben – von den sechs festangestellten Autoren der Firma Brainpool, die die Show im ehemaligen Kino „Capitol“ in der Kölner Innenstadt produziert. Für jeden Witz, der über den Sender geht, erhalten die freien Schreiber 175 Mark.
Zwischen 30 und 40 one liner – ein bis zwei kurze Sätze – braucht Harald Schmidt jeden abend für seine 20-Minuten-Eingangsmoderation, den Stand up. Aber nur fünf bis sieben Gags kommen von den freien Autoren, den Rest schreiben die Internen und der Meister selbst. „Masochismus gehört dazu“, meint Ralf Kabelka, es gebe auch „Nullwochen“, wo er keinen Gag unterbringe. „Meistens sind es aber zwei bis drei pro Woche.“
Das Kölner Autorenteam besteht aus den beiden vorgesetzten Head writern Peter Rütten und Ralf Husmann sowie vier Staff writern. Ein recht kleiner Witzapparat, wenn man bedenkt, daß für David Letterman, Schmidts US- Vorbild, bis zu 140 feste und freie Autoren tätig sein sollen.
Die Kölner sind allesamt Leute, die bereits für Schmidts RTL-Vorgänger Koschwitz gearbeitet haben. Thirtysomethings, meist Studienabbrecher, die als Schreiber für Radio und Kabarett zum Fernsehen gekommen sind. Sie haben sich auch als Comiczeichner verdingt oder Kartenspiele entworfen. Daß sie hauptberuflich lustig sein müssen, sieht man ihnen nicht an. Kein Anflug von Hape Kerkeling; die könnten auch für die DAK arbeiten. Natürlich ist die Erfolgsquote der Staff writer höher, als die der freien Autoren. Insgesamt aber wandern täglich zwischen 100 und 200 Witze in den Papierkorb. „Schmidt frißt mehr Material als Koschwitz“, sagt Produzent und Brainpool-Geschäftsführer Jörg Grabosch.
Unten im Saal blüht der Plüsch zwischen Ziegelwänden aus Pappmaché, oben erstreckt sich die übliche grau-blaue Bürolandschaft. Brainpool, der „gag tank“ außerhalb des Gehirns von Harald Schmidt, liegt im fünften Stock direkt über dem Studio. Nur ein paar Requisiten weisen darauf hin, daß hier Humor am Fließband produziert wird: eine Wasserpistole, ein Fußball, ein Paar Holzschuhe.
11.10 Uhr. Die Head writer Rütten und Husmann bereiten sich auf die Konferenz mit Harald Schmidt vor. Die Staff-Leute arbeiten mit Hochdruck am Stand up und dem ABC-Quiz, einer Art Multiple- choice-Test mit Filmausschnitten. Dafür bleiben ihnen kaum mehr als zwei Stunden.
Diesmal sollen die 70er Jahre als Motto über der Sendung stehen. Doch dazu reicht es natürlich nicht, dem Moderator überdimensionale Koteletten anzupappen. Möglichst viel historisches TV- Material soll mit in die Show: „Wo schneiden wir das Dalli-Dalli-Publikum dazwischen?“, fragt Husmann. „In den Stand up“, antwortet Rütten, der bereits daran denkt, wie er in der nächsten Woche den Auftritt der Serien- Schauspielerin Julia Biedermann aufpeppen kann. Die Frau ist Hobbyreiterin. „Bullriding ist durch, wir setzen sie auf ein Holzpferdchen mit Rädern. Hauptsache, sie ist nicht so langweilig wie die Knef. Da hätten nur noch Stromschläge geholfen.“
Was soll noch kommen heute abend? Harald wird mit dem jungen Howard Carpendale singen. Ein virtuelles Duett, dank Blue box. Nostalgische Afri-Cola-Werbung – „Haben wir die?“ Am Ende ein Abspann wie bei der guten alten Heck-Hitparade. Stakkato- Sprech über Latin-Musik. „Hat die Band das schon drauf?“
„Sechs Tage Vorbereitungszeit hätten auch nicht geschadet, bei so einer speziellen Seventies-Sendung“, ächzt Rütten. Mehr als zwei seien aber nicht drin. Also wird es hektisch. „Doch das Experimentelle macht ja den Reiz aus.“ Und bezahlt wird auch nicht schlecht. Staff writer verdienen laut Produzent Grabosch zwischen 8.000 und 12.000 Mark monatlich, Head writer bis zu 30.000.
11.15 Uhr. Konferenz. Harald Schmidt hockt zusammengefaltet hinter seinem halbrunden Schreibtisch. Er knipst mit zwei Fernbedienungen zwischen CD-Spieler und Videotext hin und her. Was gibt's neues von Bundes-Berti? Um ihn herum lümmeln sich ein halbes Dutzend Männer der Sorte „coole Ecke vom Schulhof“: Produzent Grabosch, Regisseur Michael Maier, Producer Stuart Dale Barlow und die beiden Head writer.
Schmidt nickt die Liste mit den aktuellen Themen ab und erläutert, was er mit den Gästen vorhat: Jerry Hall, die Gattin von Mick Jagger, will er beispielsweise nach ihrem Ohrschmuck fragen. Laut Dossier ein Gehänge aus Waschbärenpenisknochen. Dann beginnt das große Assoziationsspiel in Sachen 70er Jahre. Schlaghosen, Räucherstäbchen, jeder wirft ein paar Kalauer in den Raum. Beim Bonanzafahrrad bleiben sie hängen. „Mensch, der Bananensattel, der Chopper-Lenker“!
Schmidt holt aus zum ersten Solo für heute: „Bonanzaräder, die hatten bei uns in Nürtingen immer nur die Kinder von geschiedenen Eltern, wegen dem schlechten Gewissen. Oder die Kids von Ami- Huren. Ja, Ami-Hure, dieser Begriff müßte mal wieder etabliert werden!“ Allseitiges Ablachen.
Brainpool ist eingeschworen auf Schmidt. „Harald ist hierzulande das beste Medium, um unsere Witze rüberzubringen“, wissen die Autoren. „Bei Schmidt gibt es keine Pietätsrichter wie bei Koschwitz“, so Peter Rütten. Koschi habe zwar „menschlich schöne“ Interviews geführt, doch sei dessen „naive Weltsicht“ einfach nicht mit Satire zusammengegangen. Schmidts Zynismus schon eher. Ein Witz müsse lustig sein, nicht moralisch, so die Staff-Leute: „Auf Harald mit Hitlerbärtchen holen sich die Neonazis bestimmt keinen runter.“
Autor Claus Vaske (30) und seine Kollegen rühmen Schmidts Spontaneität: „Er gibt den Gags immer noch einen Drall mehr.“ Und den Stand up müsse Schmidt auch nicht Wort für Wort vom Teleprompter ablesen, wie Koschwitz. Ihm reichen cue cards, große graue Papptafeln mit Stichworten.
Auch die Kritik scheint Schmidt langsam, ganz langsam zu überzeugen. Die Verrisse werden weniger, seit der Moderator nicht mehr krampfhaft Letterman nachahmt und sich zumindest flüchtig auf die Talks vorbereitet. Zieht Schmidt aber über polnische Autodiebe her oder vergleicht Frauen mit Klodeckeln, dann kriegt er noch Prügel.
Die Zuschauerquote ist weiterhin ein Problem. Nach Angaben von Brainpool liegt sie durchschnittlich bei 1,2 Millionen – nur noch 100.000 unter dem Soll. Die Presse berichtet eher von 900.000 Zuschauern im Schnitt. Für den Sommer jedenfalls hat Sat.1 den Samstagstermin gestrichen und sendet lieber „Sex-Thriller“.
Da fällt es dem Talkmaster natürlich leicht, die von den Kritikern zunächst so arg vermißten Witze über seinen Arbeitgeber Sat.1 zu machen. Dann bezeichnet er das neue Programmschema schon mal als „Fernsehlotterie“. Nicht gerade ein Schenkelklopfer, aber immerhin.
17.35 Uhr. Zweieinhalb Stunden vor Aufzeichnung der Sendung. Unten im Saal wird geprobt. Für die Staff writer der erste Gag- Test, den sie am Bildschirm in ihrem Büro verfolgen. Wie kommt das „ABC-Quiz“ an? Gut, die Technik unten gackert. Die vier Autoren mögen ihren Job, trotz der 12-Stunden-Arbeitstage. „Wenn ich keine Witze machen könnte, bräuchte ich Psychopharmaka“, meint Claus Vaske. „Das ist wie Jogging“, sagt Christian Schnalke. Und der Druck von oben sei bislang „dezent“. Nur wenn die unterste Stammtischkante erreicht wird, geht Produzent Jörg Grabosch mal dazwischen. Man quält sich nicht lange mit Selbstzweifeln. Dürfen DDR-Bürger als „Warschauer Pack“ bezeichnet werden? Zwei sind dafür, zwei dagegen. Der Witz kommt rein.
Wenig Gnade finden derartige Gags beim Humorkritiker Hans Mentz vom Satiremagazin Titanic. Die Brainpool-Leute hätten zwar „bisweilen den einen oder anderen Witz dazwischen“, das Niveau der Komik sei aber „insgesamt relativ niedrig“. Immerhin beherrsche Schmidt im Gegensatz zu Gottschalk und Koschwitz die Kunst, „schlechte Witze als gute zu präsentieren“. Mentz meint sich sogar zu erinnern, „über einen von ihm lauthals vorgetragenen Karnevalsscherz von bemerkenswerter Verstaubtheit ganz herzlich gelacht zu haben.“
20 Uhr. Die Aufzeichnung beginnt. Schmidt liefert seinen Seventies-Stand up im Trevira-Anzug auf dem Flokati. Den Gag mit der „Ami-Hure“ läßt er raus. Dafür hat er wieder einen über den eigenen Sender im Programm: „Viele Zuschauer werden sich fragen: Siebziger Jahre in Sat.1 – was soll daran neu sein?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen