Große Koalition gegen Schlußpunktmentalität

■ Heute gründet sich das „Bürgerbüro“ gegen SED-Seilschaften. Nach CDU-Starthilfe sind nun auch SPD und Bündnisgrüne dabei, um zu „neutralisieren“

Berlin (taz) – „Gott sei Dank macht Scharping jetzt auch mit“, gibt sich die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld erleichtert. Damit werde hoffentlich das Kohl-Etikett verblassen, „das uns ewig nachgetragen werden wird“. Die Gründungsveranstaltung des „Bürgerbüros“ findet heute im Berliner Martin-Gropius- Bau statt – symbolträchtig am 17. Juni.

Gründungsmitglieder sind Bärbel Bohley, Wolf Biermann und andere Bürgerrechtler, ausgewählte Parteivertreter von SPD, FDP und Grünen sowie das Bundeskanzleramt inklusive Kanzler. Eine „politische Lobby für kleine Leute mit zerstörten Biographien“ soll das werden, erklärt Vera Lengsfeld, „für Bürger, die vor der Wende in der DDR betrogen wurden und es durch alte Seilschaften und unzureichende Gesetzgebung heute wieder sind.“ Die Opferverbände würden sie nicht ausreichend vertreten können, und in den Parteien gingen sie unter.

„Bürgerking“ witzelten die Gründerväter zunächst über ihr Projekt, das in abendlichen Treffen bei Bärbel Bohley entstand. Mit dabei: Pfarrer Erhart Neubert, Konrad Weiß, Freya Klier, Günter Nooke und andere DDR-Bürgerrechtler der ersten Stunde. Aber längst nicht alle, und das führte zum Streit. Denn die Gruppe lud letzten Sommer den Kanzler in ihre Runde, dem das Projekt wie gerufen kam, um sich mit den Ostpromis zu schmücken. Die Idee eines Bürgerrechtsbeauftragten wurde erwogen, einigen konnte man sich am Ende auf jenen Verein, der keine Gesetze, aber Öffentlichkeit schaffen kann. „Das Bürgerbüro – Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur“ ist jetzt der Titel.

Hochkompliziert ist der Vereinszweck beschrieben. Laut letztem Satzungsentwurf, der heute mittag beschlossen werden soll, heißt es: „Der Verein versteht sich als parteipolitisch neutrale Vermittlungsinstanz für berechtigte Bürgeranliegen. Er will bei der Aufklärung über Lebensverhältnisse in der DDR behilflich sein und ihre partielle Fortsetzung mit anderen Buchstaben öffentlich machen.“

Dieses Juristendeutsch stammt maßgeblich aus der Feder des Berliner Rechtsanwaltes und CDU- Abgeordneten Uwe Lehmann- Braun. Und im Büro von Kanzleramtsminister Anton Pfeifer wurden die Satzungsentwürfe „gegengelesen“. Sie wollten aber keinesfalls „Wauwaus von Helmut Kohl“ sein, postulierte Jürgen Fuchs gegenüber der taz, und Wolfgang Templin hat in der FAZ formuliert, man werde „den Bundeskanzler instrumentalisieren“ und nicht umgekehrt. Diese Versicherungen haben es der SPD leichter gemacht, Ulrich Klose und Rudolf Scharping grünes Licht zu geben, mit von der Partie zu sein. So habe man den Verein am sinnvollsten „parteipolitisch neutralisieren“ können, sagt Wolfgang Thierse gegenüber der taz. Er stehe dem Projekt „nicht ablehnend, aber skeptisch gegenüber“, weil der Promiverein kleineren Initiativen das Wasser abgraben könnte und eine „Instrumentalisierung vom Kanzler nach wie vor nicht ausgeschlossen sei. Letztlich schmücke sich jener mit diesem Projekt, mache aber mit Rücksicht auf CDU- Blockflöten praktisch gegenteilige Politik: Die DDR-Unrechtsopfer kämen wieder einmal zu kurz.

Auch die grüne Bundestagsabgeordnete Christa Nickels hat sich vor vier Wochen entschieden, mitzumachen. Es störe sie nicht, daß da „auch CDU-Logistik“ drinsteckt. Als Wichtigstes sei „Überparteilichkeit gewährleistet“, erläutert sie, und es entstehe kein Konkurrenzunternehmen zur Enquêtekommission und dem Petitionsausschuß, dem sie vorsitzt. Ein „Bündnis gegen Schlußpunktmentalität“ sei entstanden, aber „kein Verein zwecks Rote-Socken-Kampagne“.

PDS-Sprecher Hanno Harnisch äußerte sich gegenüber der taz zwar anerkennend, aber bissig. Das Bürgerbüro sei doch nur „für einen kleinen exklusiven Oppositionsausschnitt aus Berlin und Jena gedacht“, vollbringe aber eine „historische Leistung“: Bärbel Bohley sei es gelungen, „Helmut Kohl und Rudolf Scharping als Bürgerrechtler zu profilieren“. Holger Kulick