Kein Geld nirgends für Literatur

Zwei Ostberliner Literaturzentren und ein bundesweit einzigartiges Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur machen dicht, wenn Kultursenat nicht zahlt  ■ Von Ulrich Clewing

Früher nannte man es das „Städtchen“. Tatsächlich war die Villenkolonie am Majakowskiring in Pankow alles andere als das: ein hermetisch abgeriegelter Bezirk, in dem die Gründerväter der DDR hinter Stacheldraht und hohen Mauern residierten. Noch heute spürt man hier etwas von der bleiernen Stille, die Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, Johannes R. Becher und Otto Grotewohl so schätzten. Einzige Ausnahme: Seit 1991 die Literaturwerkstatt in das Haus von Ministerpräsident Grotewohl eingezogen ist, ist dort ordentlich Leben in der Bude. Die Institution ist in den letzten fünf Jahren zu einem, wenn nicht gar dem Treffpunkt für internationale SchriftstellerInnen geworden.

Doch so, wie die Dinge stehen, dürfte damit bald Schluß sein. Der Grund: Nachdem Kultursenator Peter Radunski (CDU) im April die Zusage gegeben hat, für die 1994 von der Großen Koalition beschlossene Angleichung der Ostgehälter an den Westtarif aufzukommen, heißt es nun aus der Kulturverwaltung: Njet, kein Geld mehr da. Die 25 Millionen Mark, die dafür vorgesehen waren, sind inzwischen für Opern und Theater verbraten. Und die kleinen Institutionen gucken in die Röhre. Davon betroffen sind neben der Literaturwerkstatt das Literaturforum im Brechthaus sowie das in dieser Form bundesweit einzigartige Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur, „Lesart“.

Verglichen mit anderen Bereichen macht die Literaturförderung in Berlin einen verschwindend geringen Teil des Kulturhaushaltes aus. Lediglich 5 Millionen Mark – oder 0,4 Prozent des gesamten Etats – stehen den fünf literarischen Einrichtungen zur Verfügung. Entsprechend niedrig ist der Fehlbetrag, der den drei Ostberliner Literaturhäusern nun das Genick brechen könnte. Sie benötigen für laufende Kosten insgesamt vergleichsweise lächerliche 180.000 Mark. Falls diese Mittel nicht doch noch lockergemacht werden, droht den Einrichtungen bei ihrer Programmarbeit eine Zwangspause von mindestens drei Monaten.

Gefährdet sind unter anderem die Vorbereitungen für die Brecht- Tage im nächsten Jahr zum 99. Geburtstag des Dichters, die Krimi- Reihe „Cream of Crime“ und der Veranstaltungszyklus „Lebenszeugnisse“, in dem das Forum Exilliteratur vorstellt. In der Literaturwerkstatt bangt man um das Festival französischer Literatur, das im Herbst im Rahmen des „Marianne-Germania“-Projekts der Festspiele GmbH hätte stattfinden sollen. In Frage gestellt sind ferner eine Irland-Woche, mit der die Literaturwerkstatt das diesjährige Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse aufgreifen wollte, sowie die Veranstaltungsreihe „San Francisco als literarischer Ort“. „Lesart“ fürchtet um den Fortbestand seiner Reihe „Literarischer Schauplatz Berlin“, die Kinder an die Originalschauplätze von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ und Wolf Durians „Kai aus der Kiste“ führt.

Was aber noch schwerer wiegt: Die bevorstehende Funkstille verunsichert nicht nur das Publikum, sondern macht die Institutionen bei in- und ausländischen Partnern unglaubwürdig. „Wir brauchen Kontinuität“, appellierte Thomas Wohlfahrt, Leiter der Literaturwerkstatt, auf der gestrigen Pressekonferenz an den Senat. „Sonst sind wir weg vom Fenster.“