Nacktärsche gegen England

Schottland demonstriert Unabhängigkeitsstreben ohne Gewalt  ■ Von Ralf Sotscheck

Schottland will unabhängig werden, soviel steht fest. Die Frage ist nur: wie unabhängig? Glaubt man den Umfragen, so muß zumindest eine Teilunabhängigkeit her: 51 Prozent der Befragten befürworten ein schottisches Parlament. Geht es nach der britischen Labour Party, wird sich die Unabhängigkeit in Grenzen halten. Das schottische Parlament soll 129 Abgeordnete zählen, die Hälfte davon Frauen. Die Abgeordneten wählen einen Chefminister und haben die Macht, die Einkommenssteuer um drei Prozent herauf- oder herabzusetzen. Viel mehr nicht.

Ziel ist es laut Labour-Chef Tony Blair, den „Quango-Staat“ zurückzuschrauben, wo die Entscheidungen „bei privaten Verwaltungsorganen liegen, die mit Tory- Statthaltern vollgestopft sind und niemandem gegenüber verantwortlich“ seien. Die 5.000 Quango- Repräsentanten können immerhin sieben Milliarden Pfund im Jahr verteilen – meistens an ihre eigenen Leute. Blair hat versprochen, die Pläne innerhalb eines Jahres nach Einzug in die Downing Street im nächsten Jahr zu verwirklichen. Dabei ist ihm die Unterstützung der Liberalen Demokraten sicher.

Die Schottische Nationalistische Partei (SNP) hat einen Lieblingsfilm: „Braveheart“. Es heißt, daß sich die Parteimitglieder vor dem Zubettgehen stets die Szene ansehen, in der Hauptdarsteller Mel Gibson der anrückenden englischen Armee seinen nackten Hintern entgegenstreckt.

Eine eigene Verfassung mit einer Bürgerrechtscharta

Die SNP bezeichnete die Labour- Vorschläge als völlig unzureichend, meinte aber, daß man im Zweifelsfall wohl dafür stimmen werde. „Eine Scheibe Brot ist besser als nichts“, sagte der SNP-Vorsitzende Alex Salmond. Er monierte aber, daß Schottland laut Labours Vorschlag weder über die Öl- und Gasvorkommen vor seiner Küste verfügen könne noch direkten Zugang zu den Entscheidungsgremien in der EU haben werde. „Im schottischen Parlament würde sich ziemlich schnell Frustration breitmachen“, prophezeite er.

Die SNP will aber ein Parlament mit 200 Sitzen und eine eigene Verfassung mit Bürgerrechtscharta. Die schottische Sprache soll offiziell anerkannt, Atomwaffen und Atomkraftwerke aus Schottland verbannt werden. Statt des Vereinten Königreiches will die SNP eine lockere „Assoziation der Staaten der britischen Inseln“.

Premier John Major sieht dagegen keine Notwendigkeit, am Status quo zu rütteln. Schließlich seien die vergangenen dreihundert Jahre seit der Union beider Länder friedlich verlaufen, meinte er. Also begrenzte regionale Autonomie, wie er sie für Nordirland anstrebt, nur bei gewaltsamen Konflikten? Labours Vorhaben sei „der gefährlichste Vorschlag, der dem britischen Volk je vorgelegt wurde“, erklärte Major im Unterhaus. Er warnte davor, ein schottisches Parlament mit der Erhebung zusätzlicher Steuern zu bevollmächtigen, da London in diesem Fall seine Zuschüsse zurückschrauben müßte. Die logische Folge eines schottischen Parlaments, so Major, sei die Verringerung der Zahl schottischer Abgeordneter in Westminster, die darüber hinaus „von englischen innenpolitischen Entscheidungen“ ausgeschlossen werden müßten.

Aus den schottischen Kommunalverwaltungen sind die Tories heute schon ausgeschlossen. Bei den Gemeindewahlen vor einem Jahr gewannen sie gerade mal 79 von 1.160 Sitzen. Drei Viertel der Stimmen gingen an die Nationalisten – dabei erreichte die gemäßigte Form der Labour Party doppelt so viele Stimmen wie die radikalere Variante der SNP.

Doch nach siebzehn Jahren Tory-Herrschaft in Westminster werden die nationalistischen Gefühle nördlich der Grenze immer stärker. Es ist bezeichnend, daß zu der großen Fernsehdebatte vor den Kommunalwahlen lediglich SNP- Chef Alex Salmond und George Robertson, der Schottland-Minister im Labour-Schattenkabinett, eingeladen worden waren. Die Debatte fand im „Parlamentsgebäude“ statt, wie jeder die umgebaute Schule in Edinburgh nennt. Vor zwei Jahren wollten die Tories das Gebäude an eine Versicherung verkaufen, aber der Stadtrat der schottischen Hauptstadt war schneller. Er verwaltet das Haus, so sagte der Pressesprecher, bis das „wiedergeborene schottische Parlament“ dort einzieht.