Syrien und Türkei im bombigen Machtkampf

■ Anschläge, Verhaftungen und Truppenbewegungen an der Grenze

Berlin (taz) – Die Spannungen zwischen Syrien und der Türkei nehmen zu. Gestern berichtete die türkische Armee, daß Syrien Truppen an seiner 800 Kilometer langen Grenze zu seinem nördlichen Nachbarn konzentriert. Auch auf türkischer Seite gebe es Truppenbewegungen, die aber nichts mit Syrien zu tun hätten.

Bereits am Sonntag meldete die halbstaatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Reisende, syrische Panzer seien auf dem Weg zur Grenze. Am Samstag hatte die in London erscheinende Zeitung al-Hayat berichtet, Syrien habe 40.000 Soldaten an der Grenze stationiert.

Der Truppenaufmarsch erfolgt nach einer Reihe mysteriöser Bombenanschläge in Syrien, hinter denen einige Beobachter den türkischen Geheimdienst vermuten. In der Nacht auf den 6. Mai erschütterte eine Explosion einen Vorort der Hauptstadt Damaskus. Ausländische Einwohner und Diplomaten berichteten, die Detonation sei kilometerweit zu hören gewesen. In den staatlich gelenkten syrischen Medien fand sich kein Hinweis auf den Vorfall. Dem folgten Berichte in westlichen und arabischen Medien (mit Ausnahme der syrischen) über mehrere, zumeist kleinere Explosionen.

Bereits am 4. Mai hatte das US- Außenministerium von Bombenanschlägen in Syrien berichtetet. In dem Land lebende US-Bürger sollten „ihre Sicherheitsvorkehrungen überprüfen“. Die syrische Regierung bezeichnete diese Angaben als „unsinnig“.

Doch Berichte über zumeist kleine Explosionen reißen nicht ab. Der Umstand, daß ein Sprengkörper in jenem Damaszener Stadtteil detonierte, in dem der Wohnsitz des Chefs der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, vermutet wird, nährt Spekulationen über eine Verwicklung türkischer Geheimdienstler.

Ein Bericht der Financial Times unterstützt diese Version. Unter Berufung auf eine „hochrangige arabische politische Quelle“ berichtete die Londoner Zeitung, es sei ein Anschlag gegen Syriens Staatschef Hafis al-Assad gerichtet gewesen. Am 6. Mai sei eine Autobombe an einer Straße explodiert, an der der Präsident auf dem Weg zu einer Gedenkveranstaltung für von den Osmanen ermordete arabische Nationalisten vorbeikommen sollte. Assad habe auf den Auftritt verzichtet. Syrische Sicherheitskräfte hätten daraufhin etwa 600 Personen verhaftet, zumeist Angehörige der in Syrien lebenden türkischen Minderheit. Unter Berufung auf die gleiche Quelle heißt es auch, der syrische Staatschef habe im Mai seine Amtsgeschäfte nicht aus Damaskus geführt, sondern aus Lattakia, der „Hauptstadt“ der syrischen Alawiten. Assad und weite Teile seines Staatsapparats gehören zu dieser Minderheit.

Nach Informationen der taz wurden Anfang Mai in dem mehrheitlich von türkischstämmigen Syrern bewohnten Dorf Bayir Bucak bei Aleppo etwa 100 Personen verhaftet. Ein Verwandter mehrerer Verhafteter berichtet, bei den Festgenommenen handle es sich zumeist um junge Männer „zwischen 17 und 27 Jahren, die meisten Akademiker“. Türkische Menschenrechtsgruppen berichten von einer weiteren Verhaftungswelle unter türkischstämmigen Syrern seit Anfang Juni: 400 Personen sollen betroffen sein.

Syrische Menschenrechtler bestätigen diese Berichte, halten aber die Zahlen für übertrieben. Der Europavertreter der im Untergrund agierenden „Komitees zur Verteidigung der demokratischen Freiheiten und Menschenrechte in Syrien“, Haytham Manna, meint, durch die Verhaftungen wolle die syrische Führung Druck auf die Regierung in Ankara ausüben. Die Verhafteten seien Geiseln im Machtkampf zwischen der Türkei, Syrien und der von Damaskus unterstützten PKK.

In den letzten Wochen war es an der türkisch-syrischen Grenze mehrfach zu Schießereien zwischen türkischen Soldaten und PKK-Kämpfern gekommen. Beobachter in der Türkei befürchten, in Ankara plane man einen militärischen Vorstoß, um in Syrien PKKler zu jagen, so wie sonst im Nordirak. Für diesen Fall könnten die türkischen Militärs mit Hilfe aus Israel rechnen. Seit Februar öffnet ein Militärabkommen israelischen Flugzeugen den türkischen Luftraum, auch an der syrischen Grenze. An einer Schwächung Syriens besteht in Jerusalem großes Interesse. Thomas Dreger