Staatsbeamte als Schuhputzer

17 Jahre nach der islamischen Revolution nagt die iranische Bevölkerung am Hungertuch. Der Schmuggel mit US-Zigaretten blüht  ■ Aus Teheran Thomas Dreger

Mißmutig zieht der deutsche Handelsvertreter an einer Zigarette, dann hält er das gold-weiße Päckchen hoch: „Diese Zigarettenpackung sagt mehr über den Zustand der iranischen Wirtschaft als so manche Statistik.“ „Montana“ steht in geschwungenen Lettern auf der Box ohne Steuermarke. „Das sind amerikanische Zigaretten. Um Geld zu sparen, werden sie in Mexiko hergestellt“, sagt er. „Hier kosten sie auf der Straße 1.500 Rial.“ Nach offiziellem Wechselkurs sind das 75 Pfennig. Offiziell gibt es im Iran keine ausländischen Zigaretten. Der Import ist streng verboten. In der Realität bekommt man sie an jeder Straßenecke. Unverdeckt stehen Marlboro, Winston und eben Montana in den Schaufenstern. Sie sind vielleicht 50 Prozent teurer als iranische Produkte, aber dafür schmecken sie längst nicht so ungesund wie diese.

Wer heute in der Islamischen Republik zu Geld kommen will, arbeitet zumeist semilegal. Eines der lukrativsten Betätigungsfelder ist der Schmuggel. Westliche Technologie und Konsumgüter kommen aus der Türkei: Die Schaufenster im reichen Teheraner Norden sind vollgestopft mit westlicher Mode und Unterhaltungselektronik. Waffen aus Afghanistan, aus Rußland vor allem jede Menge Wodka. Der Weitertransport in den seit der Kuwait-Invasion mit einem umfangreichen Embargo belegten Irak macht Iran zur Handelsdrehscheibe. „Das sind keine kleinen Leute“, beschreibt der in einem halbstaatlichen Unternehmen arbeitende Iraner Nateq die Hintermänner: „Das sind Leute mit exzellenten Verbindungen – die verdienen sehr viel Geld.“

Eine zentrale Rolle für den grauen Markt spielen die von der Staatsführung eingerichteten Freihandelszonen – eine an der Grenze zu Turkmenistan und die wichtigste auf der Golfinsel Kisch. Experten vermuten unter dem Eiland Erdgasvorkommen mit einem Volumen derer ganz Algeriens. Aber derzeit spielt Industrie in Kisch eine untergeordnete Rolle. Zwischen der Insel und dem Festlandhafen Bandar Abbas verkehren kaum Frachter, dafür jede Menge Daus. Die Segelboote sind voll mit Zigaretten. „In Bandar Abbas wird die Packung Montana für 1.200 Rial verkauft. Der Transport nach Teheran bringt einen Gewinn von 25 Prozent“, berichtet der deutsche Handelsvertreter: „Kisch ist eine Schmuggelinsel.“ Und ein dort lebender Iraner sagt: „Auf Kisch gibt es Whisky, Wodka, Wein. Alles verboten, aber das kümmert niemanden.“

Der noch bis zum Sommer 1997 amtierende Staatspräsident Ali Rafsandschani verficht die Privatisierung iranischer Unternehmen. Doch es ist häufig schwer auszumachen, wo der staatliche Sektor aufhört und der private anfängt. Hossein, ein privater iranischer Unternehmensberater, beziffert das Verhältnis zwischen privaten und staatlichen Unternehmen mit zehn zu eins. Allerdings besetzten die staatliche Unternehmen die wichtigsten Wirtschaftssektoren: Öl- und Stahlindustrie sowie Bergwerke.

Ausländische Geschäftsleute wollen dagegen höchstens 30 Prozent der iranischen Firmen als wirklich privat akzeptieren. In den anderen seien die Führungsetagen von Staatsvertretern okkupiert. Auch private Unternehmen sind nicht unabhängig: „Deren Hauptabnehmer ist fast immer der iranische Staat“, weiß Hossein. „Und der ist pleite.“

Nicht zuletzt, um Gerüchten des Staatsbankrotts entgegenzutreten, setzt Rafsandschani auf Prestigeprojekte: Im Mai weihte er ein Eisenbahnstück zwischen Iran und Turkmenistan ein. Die knapp 300 Kilometer Schienen vervollständigen die alte Seidenstraßenlinie von Europa nach China. Jährlich sollen eine halbe Millionen Passagiere und drei Millionen Tonnen Güter über sie rollen. Bisher fehlen allerdings die Kunden. Bereits im März ließ sich Rafsandschani vor einer Erdölbohrinsel im Kaspischen Meer ablichten. Deren Bohrgestänge reichten gar nicht bis zu den avisierten Ölblasen, unkten Kritiker in Teheran.

„Die iranische Schuldentilgung funktioniert sehr gut“, bekräftigt der deutsche Handelsvertreter. Jedoch geht die Abzahlung zu Lasten der iranischen Bevölkerung. Schon 1994 betrug die Inflationsrate für IranerInnen nach internationalen Angaben 52 Prozent – Tendenz steigend. Noch sind Grundnahrungsmittel bezuschußt, aber die Subventionen schrumpfen. So ist ein Liter Benzin mit 100 Rial gemessen an internationalen Maßstäben spottbillig. Jedoch kostete der Liter im vergangenen Jahr die Hälfte und das durchschnittliche Einkommen wird im Iran mit umgerechnet 100 bis 200 Mark angegeben.

Brotpreiserhöhungen treffen die am Rande des Existenzminimums und darunter lebenden Bevölkerungsteile – etwa zwei Drittel der geschätzten 60 Millionen IranerInnen – empfindlicher. Weil der Preis dieses Grundnahrungsmittels um 100 Prozent gestiegen war, die Wasserversorgung nicht funktionierte und der öffentliche Nahverkehr zu den Arbeitsplätzen im Stadtzentrum eine Katastrophe war, gingen im vergangenen Jahr in Teheran Tausende auf die Straßen. Die Staatsführung schickte Militärs und Hubschrauber. Inoffizielle Bilanz: mindestens 50 Tote.

Vor allem Staatsbedienstete verarmen, während im Graubereich wirtschaftende Privatunternehmer profitieren. Die durchschnittliche Arbeitszeit in staatlichen Unternehmen und Behörden liege bei 17 Minuten täglich, sagt Unternehmensberater Hossein. Die Beamten arbeiten als Taxifahrer, Schuhputzer und Verkäufer.