Auf dem Lande triumphierten die Kommunisten

■ Auch in Rußland verläuft die Trennlinie zwischen Stadt und Land: Während Sjuganow in den Dörfern siegte, holte Jelzin in den Großstädten kräftig Stimmen

So einzigartig, wie es sich gewisse überzeugte PatriotInnen wünschen, ist Rußland nun auch wieder nicht. Ein näherer Blick auf seine politische Landkarte bestätigt diese eher tröstliche Wahrheit. Wie auf der ganzen nördlichen Halbkugel gibt es auch in der Russischen Föderation ein deutliches soziales Gefälle von Nord nach Süd. Hinzu kommt der wie anderswo auch zu beobachtende Unterschied zwischen reformfreudigen Städten und konservativen Dörfern.

Bekanntlich stimmen WählerInnen für die Kommunisten in erster Linie aus Protest gegen das eigene Elend und schwelgen in der Erinnerung an jene Zeiten, als die Wurst nur Kopeken kostete. Die Hochburgen der Kommunisten sind also in südrussischen ländlichen Regionen zu suchen, wo sogar die Kolchosen dank üppiger Natur reiche Ernten brachten. Auch diesmal stimmten zum Beispiel die EinwohnerInnen des Bezirks Krasnodar für Sjuganow. Dasselbe gilt für den fernen, nichteuropäischen Südosten, die Grenzgebiete zur Mongolei. Der „rote Gürtel“, der weiträumig um Moskau verläuft, umfaßt zwar einige kleinere Industriestädte, gehört aber insgesamt zu den spärlicher bevölkerten Gebieten.

Traditionell auf seiten der Reform-Kandidaten stehen Mann und Frau dagegen im industrialisierteren hohen Norden des europäischen Rußland, um die Städte Murmansk und Archangelsk. Umfragen zeigen einen deutlichen Unterschied zwischen dem nord- und südrussischen Lebensstil. Die NordrussInnen haben es von ihrer Mentalität her leichter, sich an eine kapitalistische Arbeitsweise zu gewöhnen. Sie möchten sich selbst gern als „modern“ empfinden. In Teilen dieser Regionen – ebenso wie in Moskau und Sankt Petersburg – ist Kommunistenführer Gennadi Sjuganow nicht einmal zweiter nach Boris Jelzin geworden. Dieser Platz fiel dem liberalen Kandidaten Grigori Jawlinski zu.

Nicht den beschriebenen Gesetzmäßigkeiten gehorchen die großen Städte Sibiriens: Nowosibirsk, Kemerowo, Irkutsk. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Systemwandel ergeben, werden hier noch durch die Folgen der Abrüstung und durch das weltweite Zurückdrängen der Kohle als Energielieferant verstärkt. Kein Wunder, daß die Bevölkerung hier eher für Sjuganow oder den ultranationalistischen Wladimir Schirinowski stimmte.

Eine besondere Note bringen die von bestimmten ethnischen Minderheiten dominierten Republiken in den russischen Wahlkampf. Nordossetien stimmte diesmal wieder kommunistisch, weil sich die OssetInnen in der alten Sowjetunion besser geschützt vor den drohenden Nationalitätenkonflikten glaubten. Dagegen stehen Regionen, deren Führer dem Kreml Loyalität geschworen haben, wie Tatarstan oder Kalmykien. Sie legten ihre Stimmen Jelzin gleichsam als Geschenk vor die Füße. Allen Regionalfürsten ist eines gemeinsam: sie empfinden es als Einengung des eigenen Spielraums, wenn sich der Zar in Moskau auf eine absolute Mehrheit stützen kann. Das gegenwärtige Patt zwischen zwei Hauptkandidaten kommt ihnen da ganz gelegen. Barbara Kerneck, Moskau