Duell in Moskau

■ Wahlen in Rußland: Nur zwei Prozent Vorsprung für Jelzin vor Sjuganow. Der lachende Dritte heißt Lebed

Moskau (AP/AFP/dpa) – Das war knapp: Mit nur drei Prozent Vorsprung besiegte Boris Jelzin bei den Wahlen in Rußland seinen Herausforderer, den Kommunisten Gennadi Sjuganow. Jetzt wird bei einer Stichwahl entschieden, wer künftig Präsident wird. Bei der Suche nach einer Mehrheit für die Stichwahl stand der Überraschungsdritte beim ersten Wahlgang am Sonntag, General a.D. Alexander Lebed, im Mittelpunkt. Jelzin erlangte nach Auszählung von 99 Prozent aller Stimmen 35,02 Prozent, Sjuganow 31,95 und Lebed 14,38 Prozent, gefolgt von dem Wirtschaftsexperten Grigori Jawlinski mit 7,42 und dem Rechtsextremisten Wladimir Schirinowski mit 5,97 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 58 bis 59 Prozent geringer als erwartet. Bei der Moskauer Bürgermeisterwahl setzte sich der Reformpolitiker Juri Luschkow mit über 90 Prozent der Stimmen durch.

Amtsinhaber Jelzin machte gestern aus seiner Unzufriedenheit keinen Hehl. In einer Fernsehansprache rief er die Wähler auf, ihn bei der Stichwahl zu unterstützen. Denn die Alternative sei „kristallklar“. „Entweder rückwärts zu Revolutionen und Schockwellen oder vorwärts zu Wohlstand und Stabilität.“ Schon gestern nachmittag traf Jelzin mit Lebed zusammen. Man habe die weitere Entwicklung der politischen Lage erörtert, hieß es. Angeblich soll Lebed der Posten eines Vizeregierungschefs für Sicherheit oder des Sicherheitsratssekretärs angeboten werden. Lebed wiederum gewöhnte sich prompt an die unerwartete Rolle des Königsmachers: Seine Unterstützung werde ihren politischen Preis haben, erklärte er. Er strebe ein Regierungsamt an, das es ihm ermögliche, „den Kampf gegen Kriminalität zu führen und extreme Kräfte – sei es von links oder rechts – daran zu hindern, das Land in ein blutiges Chaos zu stürzen“. Auch Sjuganow ließ sich angesichts Lebeds Rolle nicht lumpen: Er bot ihm das Amt des Ministerpräsidenten an.

Sjuganow wertete den Wahlausgang als Niederlage für Jelzin. Zwei Drittel der Wähler lehnten Jelzins Kurs ab, sagte er vor Journalisten. „Unser volkspatriotischer Block war erfolgreich.“ Er halte Koalitionsgespräche mit jenen anderen Kandidaten, die mehr als ein Prozent der Stimmen erhalten haben, für möglich. Ein anderer Sprecher der Kommunisten schloß auch Gespräche mit Schirinowski nicht aus. Dessen Resultat, das schwächer als erwartet ausfiel, werteten Beobachter als Zeichen für eine weitere Stabilisierung der politischen Lage in Rußland.

Sjuganow meinte, Lebeds Wähler würden für die Kommunisten stimmen, wenn dieser ein Bündnis mit Jelzin eingehe. „Wir haben noch niemandem den Posten des Regierungschefs vorgeschlagen“, sagte er. „Aber mit Alexander Lebed werden wir Konsultationen über alle Fragen abhalten.“ Morgen wird festgelegt, ob die Stichwahl am 30. Juni oder am 7. Juli stattfindet. Tagesthema Seiten 2 und 3