Der Boss als Glücksfall

■ Zwei westfälische Unternehmer wollen im ehemaligen Zwickauer Trabant-Werk Elektroautos produzieren

Zwickau (taz) – Wo einst alle Trabis der DDR gebaut wurden, ist heute vor allem Staub. Die uralten Werkhallen sind fast alle verschwunden, Bauschuttlaster transportieren die Reste der dicken Ziegelmauern ab. „Damit konnte man nichts mehr anfangen“, sagt Manfred Schürer, Betriebsratsvorsitzender der Sachsenring Automobiltechnik GmbH.

Doch der Betriebsrat hat keinen Grund zur Klage. Der Kahlschlag im Trabi-Werk ist auch Zeichen des Neubeginns. Eine Halle ist stehen geblieben. Der riesige Raum, in dem bis 1991 das letzte Fließband der Trabant-Produktion lief, hat einen neuen Betonboden bekommen und ist jetzt mit modernen Maschinen ausgestattet. Der Wiederaufbau läuft, seit Ernst Wilhelm und Ulf Rittinghaus, Brüder und Firmenbesitzer aus der westfälischen Kleinstadt Hemer, das herabgewirtschaftete Werk 1993 von der Treuhand kauften. Von 12.000 DDR-ArbeiterInnen standen damals noch 200 auf der Lohnliste.

Mittlerweile ist aus der Industrieruine ein florierender Automobilzulieferer für VW, Audi, BMW und Daimler geworden. Fünfhundert Beschäftigte erwirtschafteten 1995 rund 100 Millionen Mark Umsatz. „Das sind Unternehmer, wie sie im Buche stehen“, schwärmt Betriebsrat Schürer über seinen Arbeitgeber. „Die unternehmen was.“ Beim Gedanken an die 105 Millionen, die die neuen Besitzer innerhalb von drei Jahren in neue Gebäude, Maschinen und Produktentwicklung investierten, schüttelt Betriebsrat Schürer immer wieder ungläubig den Kopf.

„Auch ich bin ein bißchen stolz“, preist die aus Baden-Württemberg stammende Pressesprecherin Monika Thomas den Elan ihrer Chefs. „Besonders, wenn der Udo kommt.“ Mit großem Brimborium bekam der Sänger Udo Lindenberg unlängst einen Viertakt-Trabant der „Last Edition“ geschenkt – eines der letzten DDR-Vehikel, die in Zwickau vom Band liefen.

Die Brüder Rittinghaus lieben solche Gesten. Sie nutzen Symbole, um die automobile Renaissance im sächsischen Mittelgebirge zu demonstrieren. So schwebt über dem Werktor eine futuristische Skulptur aus zwei stählernen Dreiecken, die zu der dahinterliegenden Industriebrache nicht so recht passen wollen. Das 900.000 Mark teure Portal hat in Zwickau Ärger ausgelöst. Helmut Stachel, Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau, meint: „Das Geld hätte man besser verwenden können.“ Denn das Sachsenring-Werk leidet ständig unter Eigenkapitalmangel. Der Investitionsbedarf ist hoch, das Stammhaus in Westfalen wirft dafür nicht genug ab. Bald will man eine Aktiengesellschaft gründen, um Geld zu besorgen. Doch die Botschaft der architektonischen Eskapade ist klar: Mit dem Werk geht es aufwärts. Noch 1996 wird die Zahl der Beschäftigten um 235 erhöht. „Wir stellen Leute im Zehnerpack ein“, betont der sonnengebräunte Ulf Rittinghaus.

Dabei reicht den Brüdern ihre Rolle als Zulieferer für andere Firmen nicht mehr. Es muß etwas Besseres sein: ein eigenes Auto. Der Motor wurde auf der Hannover-Messe 1996 bereits vorgestellt, die Karosserie soll im November folgen. Der Prototyp „Uni 1“ wird mit einem Hybridmotor fahren – kombiniert aus Diesel- und Elektroantrieb. „Das Fahrzeug der Zukunft“, hofft Ulf Rittinghaus. Wenn die großen Städte benzingetriebenen Verkehr aussperren, soll der saubere Uni trotzdem fahren dürfen. Und das ohne den gravierenden Nachteil bisheriger Elektrowagen, die geringe Reichweite. Dank des zusätzlichen Dieselmotors braucht der Uni bei langen Strecken auf dem Lande die Batterie nämlich nicht aufzuladen. Das Auto ist mit einem Preis von 53.000 Mark vor allem für die Fahrzeugflotten von Städten oder die der Telekom gedacht und soll dereinst 50 Prozent zum Umsatz beitragen.

Mit dem neuen Produkt versuchen die Sachsenring-Chefs der Abhängigkeit von den großen Automobilkonzernen zu entrinnen. Denn das Überleben als Zulieferbetrieb ist keineswegs gesichert. VW zum Beispiel verlangt eine jährliche Senkung der Kosten für Autoteile um 5 Prozent. Der Kostendruck ist enorm – wer nicht mithält, scheidet aus. Um deshalb der Vereinbarung des Tarifvertrags auszuweichen, bleiben die Rittinghäuser dem Arbeitgeberverband fern. Immerhin ein Jahr hat die IG Metall gebraucht, um Bezahlung durchzusetzen, die annähernd dem Tarif entspricht. „13 Pfennig weniger pro Stunde ist jetzt aber akzeptabel“, so Gewerkschafter Stachel.

Gleichzeitig fordern die Autokonzerne eine weitreichende Flexibilität der Arbeitszeit bei Sachsenring. „Manchmal schuften wir 50 Stunden pro Woche“, berichtet ein Arbeiter, der Löcher in Stahlträger für das Modell Polo stanzt. Eine andere Wahl habe die Firma aber nicht, meint Betriebsrat Schürer: „Entweder wir machen das, oder der Auftrag ist weg.“ Die Arbeiter würden oft an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten. Aber lieber das als arbeitslos. Bei 17 Prozent liegt die Arbeitslosenquote in Zwickau offiziell, tatsächlich aber um die 50 Prozent.