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Brabbelnde Stasi-Inkarnationen

Steinbruch der Klassiker: Darmstädter Uraufführung von Kurt Drawerts Bühnenerstling „Alles ist einfach“  ■ Von Jürgen Berger

Kurt Drawert ist vor allem Lyriker, aber auch Romancier und Essayist. Er hat fast alle wichtigen Literaturpreise eingeheimst, sei's der Leonce-und-Lena-, Ingeborg- Bachmann- oder Uwe-Johnson- Preis. Seit neuestem ist der nach Durs Grünbein auffälligste Ex- DDR-Lyriker auch Theaterautor, sein Bühnendebüt „Alles ist einfach“ kam letztes Jahr heraus: Eine Art Stationengroteske, in der er mit aller Deutlichkeit die Großen der Zunft zitiert und jüngste deutsche Geschichte vorführt.

Von Beckett bis Bernhard, von Shakespeare bis Büchner haben alle mitgeschrieben. Es beginnt mit Becketts Pingpongdialogen zwischen den beiden Altersheiminsassen Harry und Pit. Ein graugraues Kopfstück als Bild für die Aussichtslosigkeit in der niedergehenden DDR. Dann platzt Pits Frau mondän wie Westbesuch in das muffige Zimmer und dominiert alles mit einem einzigen raumgreifenden Monolog, als habe Thomas Bernhard einen seiner misanthropischen Weltverbesserer in den Ring geschickt. Kaum ist sie weg, stürzen unvermittelt zwei Jungsoldaten à la Arrabals „Picknick im Felde“ in den Raum. Die Mauer fällt, und die Marktwirtschaft macht sich kindisch martial mit Bananen breit. Pit und Harry sagen mal kleinlaut „Wir sind das Volk“, schleichen entgeistert um einen entmachteten King Lear im Wäschewagen, der als Stasi-Inkarnation weiter vor sich hin brabbelt, während ein schniekes neudeutsches Aufräumkommando angeekelt die DDR-Ausschußware wegräumt und ein Doktor, wie sein Pendant in Büchners „Woyzeck“, täglich Erbsen verordnet.

Man muß das in aller gebotenen Kürze nacherzählen, denn Drawerts Bühnenerstling riecht etwas nach Kopfgeburt. Statt dem Text auf die Beine zu helfen, wurde in der Darmstädter Uraufführung aber nur gedankenlos inszeniert. Auch dann, als die beiden Loser im Altersheim in ihrer splendiden DDR-Isolation sich Spiele einfallen lassen, um sich zu unterhalten. Die Spiele könnten Drawerts Dialogen ein wenig Halt auf der Bühne geben. Wenn allerdings der eine den Chef und der andere den Rudersklaven spielt, wird in Darmstadt in äußerster Konsequenz nicht Regie geführt (wofür Kai Braak verantwortlich gewesen wäre). Wie die zwei Schauspieler bedenkenlos über alle Stimmungsumschwünge hinwegtoben, sieht und hört man selten.

Und dabei wäre in Drawerts Bühnenerstling einiges zu entdecken, auch wenn er gute Ansätze immer wieder mit zuviel Text erschlägt. Die Wiederholungsschleifen im ersten Bild etwa, eine Paraphrase von „Warten auf Godot“, bauen anders als bei Beckett keine Spannung auf. Es müßte entschieden gestrichen werden, um Sätze und Dialogteile, die funkeln, herauszuarbeiten. Im zweiten Bild des mondänen Frauenmonologs wird der Text entschieden besser, aber auch da kommt die Uraufführung nicht wirklich in die Startlöcher.

Was bleibt? Ein überraschender Wechsel des von Gralf-Edzard Habben installierten Bühnenbildes gegen Ende. Pit und Harry sind zwar immer noch im selben Zimmer mit zwei Betten, Tür und hochgelegenem Fenster. Der Raum ist aber plötzlich einige Nummern größer und wesentlich tiefer, so daß die beiden verloren wie zwei mutterlose Kleinkinder wirken und sich strecken müssen, um an die Türklinke zu kommen. Das allerdings ließ man sich in Darmstadt nur einfallen, um das größer gewordene Deutschland eins zu eins ins Bühnenbild zu übersetzen. Anscheinend bemerkte man gar nicht, daß die Inszenierung durch den überdimensionalen Raum gewinnt, sonst hätte man von Anfang an, abseits aller dramaturgischen Überlegungen, in ihm gespielt.

Kurt Drawert: „Alles ist einfach“. Regie: Kai Braak. Mit Klaus Ziemann, Peter Hackenberger u.a. Weitere Aufführungen: 21., 26. und 29. Juni

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