Verrostete Formen der Maschinenrhythmen

■ Aus der Sampling-Hölle: die Industrial-Paten Ministry kommen gestenreich zum Song

In dieser musikalisch eklektischen Gegenwart ist Geschichte eine an Bedeutung gewinnende Größe. Die Anzahl der möglichen Begründer, Initiatoren und Richtungsweiser aller mit Namen versehenen Genres wächst ohne Sinn und Verstand. Ganz besonders gilt dies für das, was seit den Achtzigern als Industrial bezeichnet wird. Alle, die in dieser Zeit mit Maschinen, ob real oder elektronisch, No Wave, New Wave oder Rock aufpeppten, sind im Rennen. So stehen mit einigen anderen im imaginären Buch der Musikgeschichte: Killing Joke, Einstürzende Neubauten und Ministry, die am Samstag im Gaswerk auftreten.

Doch von den Genannten hat nur Ministry, das Duo aus Texas, den Kontakt zur Jugend über ihre eigene hinaus gewahrt. Den gemeinhin als Dr. Jekyll und Mr. Hyde karikierten Paul Barker und Al Jourgensen gelingt, immer noch und immer besser, der Konsens von ewiger Rebellion ohne allzu viele peinliche Platitüden. Der offensichtlichen Pubertät, die vor kurzem noch in gestenreichen Posen und gemeinschaftlichem Onanieren am Gitarrenhals ihren Ausdruck fand, entflieht die Band.

Über zehn Jahre vertraute man der Effizienz von Sequenzern, doch lauert mittlerweile auch dort der kindliche Feind. „Sich vor dem Computer einen runterzuholen, ist eine ziemlich pubertäre Sache, die man irgendwann überwunden hat. Wir wollten diesmal spielen, verspielter sein“, sagt Jekyll Barker, der aufmerksam die Würde der Band aufrecht erhält. Mit Knochenmann Jourgensen, bekannt als Drop-Out und Drogensammelstelle, schlägt sich der aufrechte Bassist schon seit 1981 durch Krieg und Frieden. Gemeinsam exorzierten sie ihre erste Öffentlichkeit als Synthie-Popper, um sich in Folge extra tief in die Sampling-Hölle zu tauchen.

Der Sprung von den gutsortierten Vinyl-Plattensammlungen der späten 80er in die CD-Regale der Kaufhäuser gelang ihnen mit Psalm 69, dem extra schwarzen Gegenstück zu Metallicas schwarzem Album. Dort bündelten Ministry all ihr Wissen, zerkochten Berge von tiefergelegten Gitarrenriffs mit Lärm und Geschrei und preßten den Sud in ästhetisch verrostete Formen treibender Maschinenrhythmik.

Doch, den halben Schritt vor den anderen Postrockern, geht die Entwicklung mittlerweile weg von Sound und hin zu Song. Deswegen und wegen der direkten Befriedigung war man zum ersten Mal mit einer Band im Studio. „Veränderung ist immer gut. Wir können Ministry-Musik im Schlaf machen. Wir wollten uns einer Herausforderung stellen, denn wir haben Angst davor, alles zu haben und die Kantigkeit zu verlieren.“ Platitüde oder nicht, das ist ihre 35jährige Realität.

Die Musik gerät auch mit den Händen wohlgeformt. Selbst entspannen sie sich derweil mit Nick Cave und den Tindersticks.

Holger in't Veld

Sa, 22. Juni, 21 Uhr, Gaswerk