Ein heller Juli am Ärmelkanal

■ Gefühle, für den Zeitraum der Ferien gemacht: 76jährig findet der Nouvelle-Vague-Meister Eric Rohmer mit Sommer zu Hochform zurück und zeigt den Schwebezustand der Unentschiedenen

Am Anfang steht die Stille, minutenlang, und filmisch gesehen recht mutig: die Stille, die einer erfährt, der alleine reist und allein in einen Ort kommt, in dem er niemanden kennt. Gaspard (Melvil Poupaud) kommt mit dem Boot in einem Seebad der Bretagne an und richtet sich ein. Die Stimmen der anderen tun sich zu einem Wortteppich zusammen, stehen als Kulisse hinter der Wortlosigkeit im Vordergrund, während Gaspard das leere Haus aufschließt, in dem er ein Zimmer zur Verfügung hat, den ersten Gang durch den Ort am Ärmelkanal macht, auf einer Terrasse etwas trinkt.

Es ist ein Zufall, daß Gaspard irgendwann die Crêperie zum Mondschein aufsucht und seine ersten Worte mit der Studentin Margot (Amanda Langlet) wechselt, die dort jobbt. „Wir haben uns angewöhnt, uns immer nur zufällig zu treffen“, sagt Gaspard später über das Verhältnis zu seiner letzten Freundin. „Der Zufall, der zur Gewohnheit wird“, antwortet Margot, „schön gesagt!“

Der Zufall als Prinzip scheint der Geschichte zugrunde zu liegen, die Nouvelle-Vague-Altmeister Eric Rohmer mit dem dritten Teil seines „Jahreszeiten-Zyklus“ erzählt: Drei Wochen lang läßt Gaspard sich durch die Zeit des Nichtstuns treiben, geht an den Strand, quatscht mit Margot – und verspinnt sich, zögerlich und entscheidungsunwillig, wie er ist, immer tiefer in ein Geflecht von Aufmerksamkeiten, Liebschaften, Erwartungshaltungen und Enttäuschungen, in dem seine eigentliche Freundin Lena (Aurélia Nolin) vor allem durch Abwesenheit glänzt, während Solène (Gwenaelle Simon) eben da ist und Margot, als „Ersatz vom Ersatz“ unter dem Label der Freundschaft und immer eher unterschwellig, die wirkliche Liebesgeschichte verkörpert.

Rohmers Film ist dabei genau wie so ein Aufenthalt in einem Strandbad: leicht, fließend, manchmal fast schwebend, die (vielen) Dialoge sind es auch, voll von Ungesagtem, Angedeutetem und Unterschwelligem. Die Gefühle sind eben erstmal nur für den Zeitraum der Ferien geplant, was Verletzungen natürlich trotzdem nicht ausschließt. Seine Darsteller sind, wie das in den Ferien nun mal so ist, frisch und ausgeschlafen und versprühen einen Charme zum Reinbeißen: Amanda Langlet, die als „Pauline am Strand“ schon eine andere schöne Sommerfigur Rohmers gespielt hat, ist als Margot eine dauernd unmerklich veränderte Mischung aus spöttischem Kumpel und liebevoller Suchender, voll von der Neugier der Ethnologin und der Gier der Lebendigen.

Gwenaelle Simon ist mit angenehmer Geradlinigkeit die pragmatische Ferienflirterin, während Aurélia Nolin die komplizierte von fern Angebetete mit überzeugender Zickigkeit gibt. Melvil Poupaud, der schlaksige Bub zwischen den viel erwachseneren Frauen, hat schon als Kind in den Sommerferien Filme gedreht. Als Rohmer, der drei Jahre lang keinen Hauptdarsteller für sein längst fertiges Script fand, ihn sah, hatte er seinen Gaspard mit all seiner Unentschiedenheit, den Facetten zwischen Ungeschicktheit und Stolz, Verletztheit und Kindsein. „Ich habe das Gefühl, daß die Welt um mich herum existiert, aber ich nicht“, sagt Gaspard mal, aber er muß sich keine Sorgen machen. Mit diesem Spätwerk hat Rohmer ihn in seiner Welt des Übergangs zum Erwachsensein auf angenehme Weise existent gemacht. Thomas Plaichinger

Abaton