Kronzeugen dringend gesucht

■ Hamburger KurdInnenprozeß gerät ins Stocken: ZeugInnen bestreiten ihre angeblichen Aussagen / Nur Deutsche reden

Die einzigen Zeugen, die reden, sind Deutsche. Auch ein LKA-Beamter wollte am Mittwoch einiges über die Strukturen der kurdischen Arbeiterpartei PKK in Bremen zu berichten haben, als er vor dem Hamburger Oberlandesgericht im Prozeß gegen Azime Y., Meryem Y. und Sait B. aussagte. Laut Anklage der Bundesanwaltschaft (BAW) sollen die drei KurdInnen über ihre vermeintliche Funktion innerhalb der „terroristischen Vereinigung“ PKK zwei Mordversuche an abtrünnigen Parteimitgliedern in Bremen und Hamburg im Oktober 1994 zu verantworten haben.

Der Beamte will von einem in Bremen lebenden Kurden im Herbst 1994 erfahren haben, daß Azime Y. und Meryem Y. Gebiets- beziehungsweise Regionalverantwortliche der PKK für den Raum Bremen gewesen seien. Der Kurde Abdurani D., der dies angeblich zu Protokoll gab, war bislang von der BAW als einer der Hauptbelastungszeugen gehandelt worden.

Vergangene Woche hatte er vor Gericht ausgesagt und das Gespräch mit dem LKA-Beamten ganz anders geschildert: Über PKK-Strukturen, so Abdurani D., habe er sich nie geäußert. Solch internes Wissen könne er gar nicht haben. Das Protokoll der Polizei beschreibe ihr „eigenes Szenario“.

An diesem Widerspruch offenbart sich ein Konflikt der BAW, der sich seit Eröffnung des Prozesses Ende März immer weiter zuspitzt: Beweise für eine Rädelsführerschaft der Angeklagten hat sie bislang nicht zur Hand. Die KronzeugInnen, die über PKK-Strukturen aussagen sollten, sind noch nicht einmal benannt. Die TatzeugInnen für die beiden Mordversuche weigern sich, Details oder gar Namen zu nennen. Werden ihnen frühere Aussagen vorgehalten, erwidern die meisten, sie seien beim Verhör unter Druck gesetzt worden oder hätten die Fragen ohne Dolmetscher nicht verstanden.

Dieses „Beweismaterial“, auf daß sich die BAW in ihrer Anklageschrift beruft, dürfte kaum zu verwerten sein. Das Gericht muß auf die Aussagen deutscher Polizisten zurückgreifen. Dadurch zieht sich der Prozeß in die Länge, die vom Vorsitzenden Richter Albrecht Mentz angekündigte „Zwischenbilanz“ vor der Sommerpause muß ausfallen. Zudem könnte zur prozeßentscheidenden Frage werden, ob deutschen Amtsträgern mehr Glauben geschenkt wird als kurdischen ZeugInnen.

Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma könnte auch sein, so die Mutmaßung der VerteidigerInnen, daß die Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach der Sommerpause schlicht fallen gelassen wird.

Elke Spanner