Rolli-Fahrer sucht Asyl

■ Zwangseinweisung Behinderter durch Änderung des Sozialhilfegesetzes

Ein Student der Hamburger Universität hat gestern politisches Asyl im schwedischen Konsulat in Hamburg gesucht. Der 36jährige Jörg Schulz ist seit 20 Jahren querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Der Grund für seinen Asylantrag: Er fürchtet nach der bevorstehenden Änderung des Bundessozialhilfegesetzes eine „Zwangseinweisung“ in ein Körperbehindertenheim. Schulz lebt in einer eigenen Wohnung und ist rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen. Diese Assistenz kostet rund 18.000 Mark im Monat, ein Platz in einem Heim dagegen rund 12.000 Mark.

Bisher hat nach dem Sozialhilfegesetz die ambulante Hilfe Vorrang vor der stationären Betreuung. Demnächst soll die häusliche Betreuung nur noch dann Vorrang haben, wenn sie nicht teurer ist als ein Heimplatz. Wenn der Vermitt-lungsausschuß von Bundesrat und Bundestag heute die Gesetzesänderung wie geplant beschließt, würde das für Jörg Schulz und andere behinderte Menschen bedeuten, daß sie aus Kostengründen in ein Behindertenheim ziehen müssen. In Schweden hingegen ist es gesetzlich verboten, Behinderte nur aus finanziellen Gründen in Sondereinrichtungen abzuschieben.

Die Befürchtungen von Schulz seien durchaus berechtigt, bestätigte Bernd Tews, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Hauskrankenpflege gestern auf einem Forum von Institutionen, die in Deutschland alte, schwer- und chronischkranke und behinderte Menschen betreuen. In Hamburg seien die Pflegeeinrichtungen am Dienstag darüber informiert worden, wie sie bei der Betreuung von Sozialhilfeempfängern künftig vorgehen sollen. Demnach soll eine stationäre Unterbringung erfolgen, wenn eine Person länger als sechs Monate für mehr als 8400 Mark monatlich Hilfe bekommt, so Tews. Auf dem Forum, an dem unter anderem die Deutsche Hospizhilfe und Krebshilfe und die Bundesarbeitsgemeinschaften privater Alten- und Pflegeheime und „Hilfe für Behinderte“ beteiligt waren, äußerten alle Teilnehmer ihre Sorge über die Situation hilfsbedürftiger Menschen. „Die Schwachen unserer Gesellschaft, das sind vor allem schwer- und chronisch kranke, behinderte und alte Menschen. Jene eben, die nichts mehr bringen und bloß noch kosten“, warnte Renate Wiedemann, Präsidentin der Deutschen Hospizhilfe, seien bedroht von einem vermehrten Kosten-Nutzen-Denken. Vera Stadie