Sorgenfalten der Mütter

■ Bremerinnen protestieren gegen neues Sorgerecht / Frauen sollen geplantes Bundesgesetz boykottieren

Der Zug scheint aus Sicht der Frauen bereits abgefahren zu sein. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Eltern nach einer Scheidung in Zukunft ein gemeinsames Sorgerecht für ihre Kinder erhalten. Der entsprechende Gesetzentwurf wurde im Bundestag bereits in erster Lesung beraten. Die endgültige Verabschiedung des Gesetzes ist für Juli geplant.

Bremer Frauen wollen sich trotzdem noch nicht geschlagen geben. Sie fürchten, daß die geplante Neuregelung der elterlichen Sorge (wieder einmal) zu Lasten der Frauen gehen wird. Dies wurde bei einer Protestveranstaltung am Dienstag abend im Konsul-Hackfeld-Haus mit rund 60 Teilnehmerinnen deutlich. „Den Vätern das Recht – den Müttern die Sorge?“ hatten die Veranstalterinnen, der Verein „Bremerinnen für Frauen aller Kulturen“, den Abend überschrieben. Die einhellige Antwort von Expertinnen und Betroffenen lautete denn auch „Ja“.

Der Protest der Frauen richtet sich vor allem gegen den Plan, die gemeinsame elterliche Sorge nach der Scheidung als Regelfall einzuführen. „Damit tun wir so, als hätte es gar keine Scheidung gegeben“, empört sich Brigitte Melinkat, Juristin der Frauen-Gleichstellungsstelle. Sie sieht in dem neuen Gesetz eine (weitere) Türe für „mehr Männermacht“ und hält es für eine Illusion, daß die Mehrzahl der Väter bei einem Zuwachs von Rechten tatsächlich auch mehr Verantwortung für ihre Kinder übernehmen.

Die Bremer Rechtsanwältin Jutta Bahr-Jendges, die in ihrer Praxis zahlreiche Frauen in Scheidungs- und Sorgerechtsfällen vertreten hat, formuliert es noch schärfer: „Väter werden“, so ihre Befürchtung, „durch die geplante Neuregelung mit Rechten und Kontrollbefugnis ausgestattet. Die tatsächliche Verantwortung aber bleibt bei den Müttern hängen.“ Die nämlich leisten nach wie vor in 97 Prozent aller Fälle die tägliche Betreuungsarbeit. Bahr-Jendges plädiert dafür, Regelungen zu Unterhalt, Aufsichtspflicht und Umgangsrecht bereits im Gesetz konkret zu formulieren.

Gerade in Streitfällen sind klare Regelungen nötig, weiß die Bremer Familienrichterin Ellen Best aus Erfahrung: „Vor allem der Elternteil, der nach einer Trennung mit dem Kind zusammenlebt, empfindet das gemeinsame Sorgerecht häufig als Überforderung.“ In ihrer richterlichen Praxis begegnen Best zwar immer wieder Frauen, die den Wunsch des Ex-Mannes nach einer gemeinsamen elterlichen Sorge unterstützen. Vielfach spielt dabei die Hoffnung, den Kindern die „Normalität“ einer Familie auch nach der Trennung der Eltern zu erhalten, die entscheidende Rolle. Wunsch und Wirklichkeit klaffen im Nach-Scheidungs-Alltag aber ebenso schnell auseinander. Die Familienrichterin fürchtet deshalb eine Verschleppung des Problems: „Kinder leiden so oder so unter der Trennung der Eltern.“

Knackpunkt der geplanten Neuregelung ist der „Regelfall“, der aus Sicht des Bremer „Verbands alleinstehender Mütter und Väter“ (VAMV) zudem nicht der Realität entspricht. „Derzeit stellen nur 20 Prozent aller Betroffenen einen Antrag auf ein gemeinsames Sorgerecht. Warum sollte sich das ab Juli schlagartig ändern?“, so Andrea Wittenhagen vom VAMV. Wenn aus der Ausnahme künftig die Regel wird, wird sich aus Sicht der anwesenden Juristinnen die Beweispflicht umkehren. In der Mehrzahl werden es dann Frauen sein, die vor Gericht nachweisen müssen, warum das alleinige Sorgerecht dem Wohl des Kindes gilt.

Einen anderen Weg als den vor Gericht wird es für die betroffenen Frauen letztlich aber wohl kaum geben, wenn das Gesetz wie beabsichtigt noch vor der Sommerpause im Bundestag verabschiedet wird. Der Aufruf der Bremerinnen: „Wäschekörbe voller Protestbriefe“ an alle im Bundestag schicken. Vg