Bemerkenswert regierungskonform

■ betr.: „Schwarz-Grün ist die Zu kunft“, taz vom 5. 6. 96

Als interessierte Anwesende bei der in jeder Beziehung leider dünn besuchten Veranstaltung muß ich feststellen, daß der Ablauf sehr unvollständig wiedergegeben worden ist und kritische Fragen aus dem Publikum zur Massenarbeitslosigkeit, Visionen der unteren Eindrittelgsellschaft und zum Verteilungsmodus der gut gefüllten Steuertöpfe scheuklappenmäßig ausgespart worden sind. Politikmanager Radunski stimmte zum Beispiel mit der empörenden Vision aus dem Publikum überein, daß eine moderne Metropole, die Berlin werden soll, selbstverständlich auch von Slums umgeben sein muß. Auch diese Veranstaltung ließ der als verdeckt weiterarbeitende CDU-Kampfmanager Radunski nicht aus, die neue Strickmaschine der CDU einzuhalten, indem die volle Verantwortung für die radikalen „Spar“-Maßnahmen scheinheilig der SPD zugeschoben wird. Der visionär vorgestellte Innenminister Gregor Gysi blieb unerwähnt, und die größte Moschee, die Frau Barbara John ausdrücklich auf der Stelle des Palastes der Republik visionär angesiedelt sah, wurde von der „Reporterin“ flugs auf den Alex geschoben.

Die taz übt sich mit dem Abdrucken von Erlebnisberichten dieser Art bereits bemerkenswert regierungskonform und honoriert damit das Friede-Freude-Eierkuchen-Denken des CDU-Werte-Systems. Und wenn Senator Radunski den Veranstaltungsort wegen anderweitiger Termine mit seinen CDU-Freunden vorzeitig verläßt, wird mit bravem Verständnis die Diskussionsrunde beendet.

Die mangelhafte Wiedergabe der spürbar unterschwellig lauernden Proteststimmungswirklichkeit, die kühn als linksalternatives Schweigen gedeutet wird, ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß die „Reporterin“ Stephanie von Oppen es scheinbar als „schick“ empfindet, für die (noch) linksalternative taz schreiben zu dürfen. Annelies Jurkuns