■ SchwäbInnen holen Kastanie aus dem Feuer: Geldautomaten statt Biergarten?
Wertingen (taz) – Die uralte mächtige Kastanie im „Post-Biergarten“ zu Wertingen ist ein Prachtstück; eins von jener Sorte, die sogar so manchem Münchner Biergarten zur Ehre gereichen würde. Doch eigentlich sollte der 120 Jahre alte Baum schon längst scheibchenweise rasiert sein.
Der Eigentümer des Biergartens in der Stadtmitte, die örtliche Genossenschaftsbank (kurz Genoba), will es nämlich so. Den beliebten Biergarten möchte das Kreditinstitut ebenso weghaben wie den Baum. Schließlich plant die Bank eine weitere Filiale in dem schwäbischen Kaff mit 7.000 Einwohnern. Nun war bei den Neuplanungen bislang immer vom Erhalt der prächtigen Kastanie die Rede. Doch die Wertinger erschraken nicht schlecht, als dieser Tage plötzlich bekannt wurde, daß die Banker zur Säge greifen wollen.
Ein vereidigter Sachverständiger hatte nämlich den ausladenden Baum kurzerhand für „unheilbar krank“ und zu „einer Gefahr für die Umgebung“ erklärt. Zunächst glaubte man bei der Genoba noch, sich mit der Neupflanzung von fünf bis sechs Jungbäumen ohne viel Aufhebens aus der Affäre ziehen zu können. Doch das sollte sich sehr schnell als eklatante Fehleinschätzung erweisen.
Denn flugs gründete sich in dem betulichen Städtchen im Zusamtal eine Bürgerinitiative. Brave Schwäbinnen und Schwaben luden zum Protestfrühstück, und einer aus ihrer Mitte kündigte gar an, er würde sich hoch oben in der Krone festschnallen lassen, um das Fällen zu verhindern. Ungewohnte Töne in der Kleinstadt.
Ihren Lieblingsbiergarten, für den Mitglieder der kabarettistischen Panitz-Familie spontan spezielle Protestsongs dichteten, wollen sich die WertingerInnen nicht nehmen lassen. Zumal ein fix um Rat gebetener Baumpfleger genau das Gegenteil des Bank-Gutachtens attestierte. „Keine nennenswerten Faulstellen, Vitalität der Traumnote 2 und eine Lebenserwartung von mindestens noch mal 100 Jahren“ bescheinigte Baumspezialist Herbert Berthold dem umstrittenen Baum in der Stadtmitte.
In Wertingen schieben besorgte BürgerInnen nun Baum-Wache. Sie wettern auf die „engstirnigen Banker“, die von Umweltschutz noch gar nichts kapiert hätten, und empören sich über diesen Gutachter, der Jungbäume als Ersatz fordert. „Über 1.000 Stück brauchte man, um die Aspiration dieser Kastanie zu erhalten, um ökologisch einigermaßen Ersatz zu schaffen“, behauptet der Baumpfleger. Der SPD-Bürgermeister und sein Stadtrat sitzen nun in der Klemme. Zu mächtig der Widerstand, als daß man den Genossenschaftsbankern einfach nachgeben könnte, die übrigens keine Interviews geben wollen. Sie verweisen bloß knapp auf ihren Sachverständigen und ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß der angeblich morsche Baum niemandem aufs Haupt kippt. „Wir hätten den Baum ja auch gern erhalten“, merkte bei einem Ortstermin Bankvorstand Josef Linder an, doch das hat er mitnichten vor: Die Stadtspitze hat aufgrund des Bank-Gutachtens den Biergarten am vergangenen Donnerstag schließen lassen, einen Sicherungszaun um die Kastanie gezogen und eine Art „Obergutachten“ in Auftrag gegeben.
Der neue Sachverständige wird im Rathaus noch geheimgehalten, „damit weder Bank noch Bürgerinitiative Einfluß auf das Gutachten nehmen kann“, wie Bürgermeister Dietrich Riesebeck meinte. Derweil ist man bei den Baumfreunden auf Wachsamkeit getrimmt, „weil wir uns nicht von Baumfällern überraschen lassen wollen“, so BI-Sprecherin Marlis Proksche. (Die taz wird über den Fortgang des Streits berichten.) Klaus Wittmann
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