Als Chris Makgale zum Messer griff

Südafrikas Wahrheitskommission bei der Arbeit: Im Dorf Phokeng hört sie zwei Männer an, die im Homeland Bophuthatswana einen ungeliebten Ältesten töteten. Bekommen sie nun Amnestie?  ■ Von Kordula Doerfler

Manchmal sind Mörder Helden. Die Sympathie der Zuhörer ist Christopher Makgale sicher, während er bekennt: „Ich packte ihn und hieb mit einer Panga [machetenartiges Meser, d. Red.] auf ihn ein.“ Viele im Saal nicken beifällig, als der 52jährige zum ersten Mal die Wahrheit sagt – die Wahrheit darüber, wie er zusammen mit neun anderen Männern einen alten Mann zuerst entführte und dann umbrachte.

Der alte Mann, Glad Mokgatle, war nicht beliebt im Dorf Phokeng, und das Dorf war vermutlich froh, ihn loszuwerden. Christopher Makgale wurde nach der Tat am 29. Oktober 1990 verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von 15 Jahren verurteilt. Bisher hat er eine aktive Beteiligung an dem Mord abgestritten. Doch jetzt muß er die Wahrheit sagen. Das ist seine einzige Chance freizukommen.

Christopher Makgale ist der erste Täter, der vor der südafrikanischen Wahrheitskommission aussagt, um für sein Verbrechen amnestiert zu werden. Eine der Bedingungen für eine Amnestie ist, so steht es im Gesetz, daß der Täter ein „volles Geständnis ablegt“. Christopher Makgale und der zweite Verurteilte, Boy Diale (35), der ebenfalls aussagt, sind keine „typischen“ Täter, keine weißen Folterknechte, keine Mitglieder von Inkatha-Todesschwadronen, keine ANC-Bombenleger. Warum der für Amnestierung zuständige Ausschuß der Wahrheitskommission ausgerechnet mit diesem Fall die öffentlichen Anhörungen von Tätern beginnt, bleibt sein Geheimnis.

Schauplatz der Anhörung ist das Dorf Phokeng in grünen Hügeln hinter der Kleinstadt Rustenburg, rund 200 Kilometer nordwestlich von Johannesburg. Am Tag der Anhörungen gleicht Phokeng einer Trutzburg. Die Zufahrtsstraße ist mit einer Straßensperre der Polizei blockiert. Niemand kommt herein oder hinaus, ohne sich auszuweisen. Vor dem Gemeindezentrum des Dorfs türmt sich meterhoher Stacheldraht. Das Gebäude ist überraschend groß, ein klobiger Kasten aus Beton und dunklen Ziegeln, von Polizei und Militär bewacht. Es geht immerhin um Mord.

Mörder Chris Makgale: kein „typischer“ Täter

Der rund 1.000 Menschen fassende Gemeindesaal ist voll bis auf den letzten Platz. Vorne, auf dem Podium, sitzt der fünfköpfige Amnestie-Ausschuß, zusammengesetzt aus Richtern und Anwälten. Hier findet keine öffentliche Therapiestunde statt wie bei den Anhörungen von Opfern und Hinterbliebenen von politischen Verbrechen während der vergangenen Wochen. Hatte der Vorsitzende der Wahrheitskommission, Erzbischof Desmond Tutu, noch vor wenigen Wochen bei der Eröffnungssitzung in der Stadt East London beschworen, die Anhörungen von Opfern dürften keine Gerichtsverhandlung werden, ist bei den Anhörungen der Täter das Gegenteil beabsichtigt. Sie werden als Gerichtsverhandlung inszeniert. Es gibt eine Pseudo-Anklage, die Täter haben eine Verteidigung in der Person des bekannten Menschenrechtsanwalts Brian Currin. Die Täter müssen zwar auch reden, aber sie werden ins Kreuzverhör genommen, scharf befragt und ständig unterbrochen.

Sympathiebekundungen aus dem Publikum verbittet sich der Vorsitzende des Ausschusses, Richter Hassen Mall, mehrmals. „Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, und wir werden von Gefühlsausbrüchen im Saal in unserem Verhör gestört“, faucht er.

Der Fall, um den es geht, hat eine lange, verworrene Vorgeschichte und trug sich zu in einem abgelegenen Dorf im früheren „unabhängigen Homeland“ Bophuthatswana. Seit Jahrhunderten lebt hier, hinter Rustenburg, der Stamm der Bafokeng, der heute rund 300.000 Mitglieder zählt und zirka 25 Dörfer besiedelt. Ein kleines Volk im Vielvölkergemisch von Südafrika, auch den meisten Südafrikanern unbekannt. Die Gegend ist arm, wird immer wieder von langen Dürreperioden heimgesucht. Der Stamm der Bafokeng jedoch ist reich, sehr reich sogar. Denn auf seinem Territorium liegt das größte Platinvorkommen der Welt. 75 Millionen Rand jährlich (rund 26 Millionen Mark) erhält der Stamm von der Firma Impala Platin, die das Bergwerk heute betreibt. Der Stamm ist darüber hinaus an einem Trust beteiligt. Einlage derzeit: 350 Millionen Rand (122 Millionen Mark). So erklärt sich auch das riesige Gemeindezentrum von Phokeng. Einer der langjährigen Vorsitzenden des Trusts ist Lucas Mangope.

Der Bafokeng Mangope wurde 1977 zum Diktator des Homelands Bophuthatswana, als dieses ökonomisch kaum überlebensfähige Gebilde aus mehr als einem Dutzend getrennter Gebietsflecken von Südafrika zum unabhängigen Staat erklärt wurde. Lucas Mangope, fortan Marionette der südafrikanischen Regierung nebenan, wirtschaftete das Land in Grund und Boden. Wer sich seinem Regime widersetzte, wurde verfolgt – so auch der Stamm der Bafokeng, der nicht zu Bophuthatswana gehören wollte.

Nach einem gescheiterten Putschversuch der „Progressiven Volkspartei“ (PPP) im Jahr 1988, an dem auch Bafokeng beteiligt waren und der mit Hilfe der südafrikanischen Armee niedergeschlagen wurde, standen sie ganz oben auf der Verfolgungsliste. Ihr Häuptling Lebone Molotlegi floh über die nahe Grenze nach Botswana ins Exil. Mangope setzte an seiner Statt einen ihm gefügigen Häuptling ein. Dessen rechte Hand und Vorsitzender des Stammesrats wurde Glad Mogkatle.

Opfer Glad Mokgatle: Homeland-Kollaborateur

Der war damit als Kollaborateur gebrandmarkt. Die Bafokeng und die PPP forderten Mangope mehrmals auf, Mogkatle zu entfernen und ihren alten Häuptling wiedereinzusetzen – vergeblich. Während in Südafrika Nelson Mandela längst frei war, hielt Mangope eisern an seinem Regime fest.

Am 29. Oktober 1990 riß einigen jungen Männern aus Phokeng der Geduldsfaden. Sie waren alle Mitglieder des „Phokeng-Aktionskomitees“, das der PPP nahestand und sich zu konspirativen Sitzungen in der katholischen Kirche traf. Die zehn Männer gingen zu Mokgatle und forderten die Herausgabe der Schlüssel zum Gemeindezentrum. Als der sich weigerte, verluden sie ihn in einen Kleinbus, um ihn zu entführen.

Doch der 85jährige war nicht so willig, wie die jungen Männer erwartet hatten. Er wehrte sich mit einer Panga und wurde verletzt. Jetzt packte die Männer die Angst. Wenn sie ihn laufenließen, drohte ihnen Gefängnis und Folter. In einer hitzigen Debatte einigten sie sich darauf, ihn umzubringen. „Das war nicht geplant“, beteuert Boy Diale während seiner Aussage, „aber wir hatten Angst, entdeckt zu werden. Durch seinen Tod wollten wir Mangope zeigen, daß wir es ernst meinten mit unseren Forderungen.“

Daß der Mord nicht geplant war, mag man Boy Diale und Christopher Makgale, die als einzige aus der Gruppe für den Mord verurteilt wurden, glauben. Und auch, daß die Reue, die sie jetzt zeigen, nicht gespielt ist. „Ich bedaure, was ich getan habe“, sagt Boy Diale, der jüngere der beiden Täter. Und: „Ich bitte die Familie um Vergebung.“ Dreimal, so sagt er, habe er versucht, sich im Gefängnis umzubringen. Denn der Ermordete war für ihn nicht irgend jemand, er war sein Onkel, ein Bruder seines Vaters. Der Saal ist bewegt. Manchmal sind Mörder Helden, die Hinterbliebenen Opfer.

Die Söhne des Ermordeten sind auch im Saal. Nun dürfen sie sprechen. Die Gesichter der Zuhörer verschlossen. „Wir haben nicht nur unseren Vater verloren“, sagt Aaron Mogkatle, der älteste Sohn. „Unsere Mutter starb bald danach.“ Was die Täter getan haben, sei furchtbar. „Aber sie haben gesagt, daß sie es aus politischen Motiven getan haben. In Anbetracht der Wahrheit, die sie gesagt haben, habe ich ihnen vergeben.“ Im Saal wird geklatscht. Die Gesichter zeigen jetzt mehr Sympathie.

„Wir Söhne des Ermordeten“, erzählt der zweite Sohn Charles, „waren geächtet als Kinder eines Kollaborateurs“. „Bitte, laßt mich wieder Mitglied des Stammes sein. Bitte, laßt uns die Vergangenheit vergessen und von vorn anfangen.“ Die Bafokeng versöhnen sich, hier vor der südafrikanischen Wahrheitskommission.

Für die ist das nur ein Nebeneffekt. Viel schwieriger ist die Frage, ob es sich bei dem Mord wirklich um ein politisches Verbrechen handelte – Bedingung dafür, daß die Täter in den Genuß einer Amnestie kommen können. Große Unsicherheit wird deutlich. Druck lastet auf dem Ausschuß, denn mit dem ersten Urteil wird ein Präzedenzfall geschaffen.

Das Plädoyer des Verteidigers, um nachzuweisen, daß die Kriterien für Amnestie erfüllt sind, gleicht dem eines Jurastudenten im vierten Semester. Immer wieder unterbrechen ihn die Richter und maßregeln ihn scharf. Verteidiger Currin begibt sich auch noch auf ein Nebengleis. Er will unbedingt nachweisen, daß der ANC etwas mit der Tat zu tun hat, daß die beiden Männer Mitglieder der Befreiungsbewegung waren. Die haben zwar ausgesagt, einmal einen Antrag auf Aufnahme gestellt zu haben – was daraus geworden ist, wissen sie aber selbst nicht, haben sich in Widersprüche verwickelt. Ein Zeuge vom ANC-Hauptquartier, auf den Currin verzweifelt wartet, erscheint nicht.

Ungeduldig fahren die Richter dem Anwalt in die Parade. Currin stottert, wird rot und versucht trotzdem heldenhaft, seine Argumentation fortzuführen. Bei der Tat sei es nicht nur um einen Schlüssel zu einem Gebäude gegangen, sagt er. Die Schlüssel waren metaphorisch: Die Bewohner des Dorfes wollten Zutritt zu dem haben, was ihnen gehörte.

Hinterbliebener Charles: „Laßt uns vergessen“

Das rechtfertige aber nicht einen Mord, kontert der Vertreter der Anklage, und es sei nicht bewiesen, daß der Mord aus politischen Motiven erfolgte. Seine Argumente bleiben aber auch schwach, schwächer als die der Verteidigung, künstlich inszeniert.

Die Menschen im Saal, die dem auf Englisch geführten juristischen Disput über Kopfhörer in einer Simultanübersetzung lauschen, schütteln verständnislos die Köpfe. Wen interessieren noch all diese Spitzfindigkeiten? Die Sache ist doch klar. Die Täter haben gestanden. Die Hinterbliebenen haben ihnen Versöhnung angeboten. Einer der Dorfältesten hat in einer langen Rede sein Plazet dazu gegeben. Jetzt müssen sie freigesprochen werden und das Leben muß wieder seinen gewohnten Gang nehmen.

Doch diesen Gefallen kann der Ausschuß den Bafokeng nicht tun. Die Sitzung wird nach zwei Tagen für beendet erklärt. Eine Entscheidung, so der Vorsitzende in dürren Worten, werde hoffentlich vor der nächsten Anhörung im Juli gefällt sein. Zuvor müßten die Anträge in allen Einzelheiten geprüft werden. Die Helden von Phokeng kommen zurück ins Gefängnis.