Ein Killer als Workaholic

■ Der Sohn eines Mafia-Führers klagt sich an, 100 Menschen ermordet zu haben

Rom (taz) – Die Ankündigung war nahezu lehrbuchmäßig: „Ich habe mich mit dem Herrn Calogero Ganci getroffen. Der Mann ist ein Aussteiger.“ Der das sagte, mit der bei Mafiosi despektierlichen Bezeichung „Herr“, war niemand anderer als Domenico Ganci, der Bruder des Genannten. Domenico machte mit diesem Spruch aus seinem Häftlingskäfig während eines Mafiaprozesses klar, daß er seinen Bruder nun nicht mehr als Bruder betrachte, sondern als Verräter.

Calogero Ganci ist ein Sohn des „Don“ Raffaele Ganci, der seinerseits zur „Cupola“ gehört, dem obersten Leitorgan der sizilianischen Cosa Nostra – ein hochangesiedelter Kronzeuge. Seit zehn Tagen berichtet er einem jungen Staatsanwalt alles, was er selbst getan und wovon er Kunde hat. Mehr als hundert Morde belasten nach eigenen Angaben sein Konto, über gut dreimal soviel kennt er Details. Angeklagt ist er bisher nur im Verfahren um den tödlichen Sprengstoffanschlag auf den Untersuchungsrichter Giovanni Falcone 1992. Doch angeblich war er schon dabei, als 1982 der Antimafiapräfekt Carlo Alberto Dalla Chiesa ermordet wurde, dann, als ein Jahr danach der oberste Untersuchungsrichter Rocco Chinnici einem Bombenattentat zum Opfer fiel und im Jahr danach die Leiter der Mordkommission Montana und Cassara ermordet wurden. Ein Workaholic des Killergewerbes sozusagen, dieser Calogero Ganci.

Doch genau hier kommen so manchem Mafiologen gelinde Zweifel: Ist die Cosa Nostra inzwischen so unvorsichtig geworden, immer nur dieselben Killer einzusetzen? War es nicht bewußte Tradition der Ehrenwerten Gesellschaft, Morde möglichst auf viele Clanmitglieder zu verteilen? Der Verdacht, hier könnte ein gigantisches Vernebelungsmanöver eingesetzt werden, um die Justizmaschinerie in falsche Bahnen zu lenken, liegt nahe. Werner Raith