Von Mißhandlung nichts gehört und nichts gesehen

■ Acht Bernauer Polizisten stehen wegen des Verdachts der Mißhandlung von Vietnamesen vor Gericht. Ihr Dienstvorgesetzter findet, es sei alles korrekt gelaufen

Bernau (taz) – Siegmund J., der 48jährige Herr im Zeugenstand, scheint durchaus in guter körperlicher Verfassung. Daß er kurzsichtig sein könnte oder über ein eingeschränktes Hörvermögen verfügt, darüber ist nichts bekannt. Und dennoch hat der Zeuge nichts gehört und nichts gesehen – jedenfalls nichts von dem, was vor zwei Jahren unter seinen Augen und Ohren auf der Polizeiwache im brandenburgischen Bernau passiert sein soll. Über Monate hinweg sollen hier Vietnamesen mißhandelt, gedemütigt und zu Aussagen genötigt worden sein. Acht Polizisten sitzen deshalb seit Anfang des Jahres im Landgericht Frankfurt/Oder auf der Anklagebank.

Das ist es, was den Zeugen J. an diesem Dienstag unruhig auf dem Stuhl herumrutschen läßt. Denn die kräftig gebauten Angeklagten mit den modischen Krawatten sind „seine“ Männer – Siegmund J. war ihr unmittelbarer Vorgesetzter. Als Dienstgruppenleiter der Schicht Dora wäre es seine Aufgabe gewesen, sie anzuleiten und zu kontrollieren – und jetzt steht gleich die Hälfte seiner Truppe unter schwerem Verdacht: Körperverletzung im Amt, Aussageerpressung, Freiheitsberaubung. Siegmund J. muß sich dazu verhalten, die Wahrheit soll er sagen und nichts als die Wahrheit.

Mit Siegmund J. redet an diesem 23. Verhandlungstag zum ersten Mal ein Polizist in diesem bisher größten Prozeß um Polizeiübergriffe auf Ausländer. Als Zeuge muß der 48jährige Beamte vor Gericht aussagen, seine acht Kollegen, die Angeklagten, nutzen ihr Recht zu schweigen. Abgeschirmt von renommierten Verteidigern aus der gesamten Republik sitzen sie wie eine geschlossene Wand.

Äußerlich gelassen haben die inzwischen vom Dienst suspendierten Polizisten angehört, was bisher zutage kam: Vietnamesen haben – leise und betont sachlich – geschildert, wie sie auf der Bernauer Wache geschlagen und getreten wurden, wie sie sich nackt ausziehen und die Gesichter zu Grimassen verziehen mußten.

Zwei deutsche Zeuginnen haben über die brutale Festnahme von Vietnamesen berichtet, und ein Bernauer Bauarbeiter hat bestätigt: Ja, er habe einen der Vietnamesen gesehen, wie der schmerzverzerrt die Polizeiwache verließ.

Daß an diesem Dienstag mit ihrem Siegmund J. erstmals ein Kollege aussagt, läßt Nervosität auf der Anklagebank aufkommen, auch der Ton des Richters wird schärfer. Dabei sitzt der Zeuge genau in der Klemme, die es so schwierig macht, Mißhandlungen durch Polizisten aufzuklären. Bestreitet er die Anschuldigungen, die etliche Zeugen vor ihm bestätigt haben, könnte er an die Grenze des Meineids geraten. Räumt er die Übergriffe seiner Untergebenen ein, hätte er sich als Vorgesetzter einer groben Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht und wäre überdies im Kollegenkreis das „Etappenschwein“.

Siegmund J. hat sich festgelegt: „Ich habe keine Körperverletzung festgestellt, und mir ist auch nichts derartiges zugetragen worden. Ich war selbst bei Festnahmen von Vietnamesen dabei, und es ist alles korrekt gelaufen.“ Warum seine Männer von der Schicht Dora im Kollegenkreis für ihren besonderen „Eifer“ bei der Jagd auf vietnamesische Zigarettenhändler bekannt waren, will Richter Dönitz wissen. „Weil die anderen zu träge waren, hinter den Vietnamesen herzulaufen“, meint Siegmund J.

Und wer hatte dabei die meisten Festnahmen vorzuweisen? Der Zeuge J. nennt seinen Kollegen Joachim G., den Mann, der bei den Vietnamesen wegen seiner besonderen Brutalität gefürchtet war. Drei vietnamesische Zeugen haben bisher in Joachim G. ihren Peiniger wiedererkannt, doch Siegmund J. schildert den Hauptangeklagten G. als „ruhigen, sachlichen“ Kollegen. Mit ihm ging er am allerliebsten auf Streifenfahrt.

Diese Gemengelage aus Korpsgeist und privaten Beziehungen aufzubrechen, erweist sich auch im Prozeß gegen die Bernauer Polizisten als schwieriges Unterfangen. Dabei hatten die Ermittler zuvor goldene Brücken gebaut. Siegmund J. zum Beispiel wurde bei seiner polizeilichen Vernehmung Straffreiheit zugesichert, wenn er bereit wäre, auch gegen seine Kollegen auszusagen. Doch er verweigerte die Aussage. Bei seiner Vernehmung vor Gericht erhebt er nun den Vorwurf, die Ermittler hätten ihn massiv zur Aussage gedrängt und gedroht, „sonst bringen wir dich in den Knast“. All das will J. unmittelbar nach seiner Vernehmung in einem Gedächtnisprotokoll notiert haben – auf Anraten eines Anwaltes. Der Anwalt ist – wie der Zufall so spielt – der Verteidiger des Hauptangeklagten Joachim G. Entnervt von diesen Verwicklungen bricht der Vorsitzende Richter für diesen Tag die Vernehmung ab. Vera Gaserow